Der 7. Oktober 2023 und die anhaltenden Folgen für die Sicherheitslage in Deutschland
06.10.2025
Der Terrorangriff der HAMAS gegen Israel am 7. Oktober 2023 und die anhaltende Eskalation der Lage in Nahost haben auch zwei Jahre nach dem Ereignis starke Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Deutschland.
Die weiter eskalierende Lage im Nahen Osten hat unter anderem durch den sogenannten „12 Tage Krieg“ im Sommer 2025 und die aktuelle humanitäre Situation im Gaza-Streifen eine verschärfende Wirkung auf extremistische Akteure aller Phänomenbereiche in Deutschland. Auch im zweiten Jahr nach dem Terrorakt ist eine zunehmende Hass- und Gewaltbereitschaft gegen Jüdinnen und Juden in Deutschland festzustellen. Zugleich wird zu Gewalt gegen den Staat Israel aufgerufen, werden Anschlagspläne gegen (pro-)jüdische Einrichtungen durch Sicherheitsbehörden aufgedeckt und vielfach das Existenzrecht Israels verneint.
Antisemitismus und Israelfeindlichkeit erfüllen in Deutschland eine Scharnierfunktion, da sie ideologische Schnittmengen zwischen ansonsten gegensätzlichen extremistischen Milieus bilden. Die extremistischen Gruppierungen nutzen antisemitische Narrative und Feindbilder gegenüber Israel, um ihre Weltbilder zu legitimieren und Anschlussfähigkeit an breitere gesellschaftliche Diskurse zu gewinnen. Diese gemeinsame Feindmarkierung schafft unerwartete Allianzen und trägt auch in Deutschland zu einer zunehmend fragiler werdenden Sicherheitslage bei.
Der Vizepräsident des BfV Sinan Selen erklärt hierzu:
„Der Jahrestag des 7. Oktober 2023 markiert nicht nur ein dramatisches Ereignis im Nahen Osten, sondern ist auch in Deutschland Erinnerung und Warnung zugleich. Der Terror der Hamas hat nicht nur in Israel fatale Folgen gezeitigt - sie wirken bis heute in Deutschland nach, indem sie antisemitische und israelfeindliche Narrative stärken und Extremisten aller Couleur neuen Nährboden geben.
Als deutscher Abwehrdienst sieht das Bundesamt für Verfassungsschutz hier eine erhebliche Gefährdungslage. Extremistische Gruppen versuchen das Leid, die Bilder und das Narrativ dieses Konflikts für ihre Ideologien zu instrumentalisieren. Sie nutzen den Überfall und die aktuell eskalierende Lage, um ein gemeinsames Feindbild zu schüren: Juden, Jüdinnen und der Staat Israel sind die Projektionsfläche für globale Verschwörungstheorien und Feindseligkeiten. Unter dem Deckmantel legitimer Kritik geraten Grenzen zu Hass und Gewalt zunehmend ins Wanken.
Wir beobachten, wie in Deutschland Aufrufe erfolgen - teilweise verdeckt, teilweise offen - zu Anschlägen auf (pro-)jüdische und (pro-)israelische Einrichtungen. Diese Gefahr darf nicht unterschätzt werden. Vor allem in den Sozialen Medien existiert ein gemeinsamer Resonanzraum für israelfeindliche Propaganda über die Grenzen der Phänomenbereiche hinweg. Auch propalästinensische extremistische Gruppierungen treten verstärkt auf Demonstrationen in Erscheinung, die vermehrt einen prägenden Einfluss auf das Demonstrationsgeschehen entfalten und stellen eine konkrete Herausforderung dar.
Es ist zu erwarten, dass auch der zweite Jahrestag der Terrorangriffe der HAMAS auf Israel dazu geeignet ist, weite Teile des Protestspektrums zu emotionalisieren und zur Teilnahme an propalästinensischen extremistischen Veranstaltungen zu bewegen.
Unsere Aufgabe als Abwehrdienst ist es, frühzeitig zu erkennen, wie sich diese extremistischen Gruppierungen vernetzen und wie sie Narrative von Antisemitismus und Israelfeindlichkeit verbreiten. Mit unseren Erkenntnissen können aus diesen Strukturen hervorgehende Straf- und Gewalttaten wirksam verhindert werden.“
Islamismus und Islamistischer Terrorismus
Die anhaltende Eskalation im Nahen Osten nach dem Terrorangriff der HAMAS auf Israel am 7. Oktober 2023 wirkt sich fortlaufend auf die Sicherheitslage in Deutschland aus. So stehen israelische beziehungsweise jüdische Einrichtungen und Personen unverändert im Zielspektrum islamistisch-motivierter Terroranschläge und Planungen. Mit Anschlägen unter Nutzung leicht zugänglicher Tatmittel (zum Beispiel Hieb- und Stichwaffen, KfZ) auf so genannte „weiche“ Ziele muss jederzeit gerechnet werden. Die Propaganda des „Islamischen Staates“ (IS) und von „al-Qaida“ stellt immer wieder Bezüge zur Eskalation im Nahen Osten her und nutzt das hohe Emotionalisierungspotenzial dieses Konflikts. Hierbei wiederholen sich vor allem Aufrufe zu Einzeltäteranschlägen im Westen, gegen Juden oder israelische Einrichtungen. Jüngste Beispiele hierfür sind die im Februar 2025 aufgedeckte mutmaßliche Anschlagsplanung auf die Botschaft des Staates Israel in Berlin sowie der Messerangriff am Holocaust-Mahnmal in Berlin.
Im Bereich des organisationsgebundenen Islamismus wird weiterhin von einer erhöhten Gefährdung für israelische und jüdische Ziele in Deutschland ausgegangen. Die Nutzung sogenannter iranischer Proxies („Hizb Allah“, HAMAS, irakisch-schiitische Milizen und Huthi-Rebellen) zur Vorbereitung und Planung von Anschlägen gilt seit dem Angriff der HAMAS auf Israel am 7. Oktober 2023 weiterhin als wahrscheinlich. Es liegen vermehrte Hinweise auf unterschiedliche operative Aktivitäten durch Anhänger der HAMAS oder der „Hizb Allah“ in Deutschland vor.
Antisemitismus im Islamismus
Antisemitismus besitzt in Deutschland ein besonders starkes Emotionalisierungs- und Mobilisierungspotenzial, welches sich vor allem islamistische Akteurinnen und Akteure zunutze machen. Dabei wirken die propagierten antisemitischen Deutungs- und Argumentationsmuster als verbindendes Element. Mit der Eskalation im Oktober 2023 hat sich die Zahl antisemitischer Beiträge im digitalen Raum signifikant erhöht, insbesondere in Form der Darstellung des Staates Israel als „Apartheids-“ oder als „Terrorstaat“ und dem Vorwurf, dass Israel gezielt Kinder ermorden und einen systematischen und von langer Hand geplanten Genozid vollziehen würde.
Das dominierende Narrativ ist die angebliche „Gleichgültigkeit“ der deutschen Politik, der Medien und der „Mehrheitsgesellschaft“ gegenüber der humanitären Lage im Gaza-Streifen. Diese „Gleichgültigkeit“ sei der Beweis für die massive Islamophobie/Muslimfeindlichkeit, die zu einer flächendeckenden und ständigen Marginalisierung von Muslimen in der westlichen Welt führe.
Über die kritische humanitäre Lage und das Leid der betroffenen Zivilbevölkerung wird versucht, das eigene Publikum ununterbrochen stark zu emotionalisieren. So soll das Empfinden einer (muslimischen) Gruppenzugehörigkeit als gesellschaftliche Außenseiter erzeugt werden, welches häufig mit einer starken aktiven Ablehnung der hiesigen Institutionen einhergeht. Die Kritik wird dabei als „Antizionismus“ oder legitime „Israelkritik“ verstanden, während etwaige Vorwürfe des Antisemitismus als unbegründete Versuche des „Cancelns“ durch die „Mehrheitsgesellschaft“ verurteilt werden.
Neben Muslimen werden mittlerweile auch andere Gruppen, – insbesondere Menschen aus dem politisch linken oder auch linksextremistischem Spektrum – mit der Kernbotschaft adressiert, dass der terroristische Angriff der Hamas ein angeblich legitimer Befreiungsakt gegen die vermeintliche Kolonialmacht Israel gewesen sei. Ziel dieses Narrativs ist die Normalisierung und die Akzeptanz des eigenen islamistischen Weltbildes. So werden zum Beispiel mittlerweile auch islamistische Symbole, wie das sogenannte Hamas-Dreieck, von Menschen unterschiedlicher Biografien genutzt, ohne deren Ursprung zu hinterfragen.
Auslandsbezogener Extremismus
Für die Organisation, Mobilisierung und Teilnahme an Versammlungen sowie die Agitation in den sozialen Medien sind weiterhin vor allem säkulare propalästinensische Extremisten relevant. Diese nehmen eine Scharnierfunktion zwischen deutschen und türkischen Linksextremisten sowie türkischen Rechtsextremisten bis hin zu Islamisten ein und bilden damit übergreifende Netzwerke. Insbesondere in den sozialen Medien hat sich seit dem 7. Oktober 2023 ein gemeinsamer und spektrenübergreifender Resonanzraum für israelfeindliche Propaganda und Agitation gebildet. Neben Israelhass und Antisemitismus wird auch eine ablehnende Haltung unter anderen gegenüber dem deutschen Staat und der Polizei geäußert.
Neben extremistischen propalästinensischen Einzelpersonen gehören unter anderem Personen und Organisationen aus dem Umfeld der Terrororganisation „Volksfront für die Befreiung Palästinas“ (PFLP), ehemalige Mitglieder des verbotenen Netzwerks „Samidoun“, Gruppierungen aus dem Umfeld der antisemitischen BDS-Bewegung (Boycott, Divestment and Sanctions) sowie türkische Linksextremisten wie „Young Struggle“, die Jugendorganisation der „Marxistischen Leninistischen Kommunistischen Partei“ (MLKP) zu den relevanten Akteuren des auslandsbezogenen Extremismus.
War das Veranstaltungsgeschehen nach den Terrorangriffen der HAMAS zunächst von aktuellen Entwicklungen in Nahost abhängig, hat sich das Engagement der Akteure, eines „harten Kerns“, mittlerweile verstetigt. Der Schwerpunkt des Veranstaltungsgeschehens und der Straftaten mit Bezug zur Nahost-Lage ist weiterhin Berlin, wobei die Teilnehmerzahlen im Vergleich zu den Vorjahren geringer ausfallen.
Die Radikalisierung dieses „harten Kerns“ hat weiter zugenommen, beispielsweise durch Gewaltanwendung gegen die Polizei, wie etwa bei den Ausschreitungen am sogenannten Nakba-Tag in Berlin.
Auch wenn es sich bei der Mehrheit der Teilnehmenden an propalästinensischen Demonstrationen nicht um Extremisten handelt, nehmen diese eine oft prägende Funktion ein, verbreiten unwidersprochen ihre Hassbotschaften und schaffen es zum Teil, die Versammlungen zu emotionalisieren, zu radikalisieren und in der Folge zu eskalieren.
Antisemitismus zeigt sich dabei insbesondere bei säkularen propalästinensischen Extremisten, aber auch bei türkischen Rechtsextremisten. Im Kontext des Nahostkonfliktes und vor dem Hintergrund der anhaltenden Kriegssituation entfalten auch extremistische Narrative zunehmende Anschlussfähigkeit in der Bevölkerung.
Linksextremismus
Die linksextremistische Szene zeigt sich in ihrem Verhältnis zu Israel auch vor dem Hintergrund des Nahostkonflikts weiterhin gespalten. Autonome Linksextremisten vertreten eher proisraelische Positionen, antiimperialistische und dogmatische Linksextremisten dagegen eher propalästinensische beziehungsweise antizionistische. Ablehnung und Kritik gegenüber dem Staat Israel beruhen dabei regelmäßig auf einer antiimperialistischen Denkweise. In Einzelfällen gehen Antiimperialismus und Israelfeindschaft jedoch auch mit einer Ablehnung des Zionismus als jüdischer Nationalbewegung sowie des Staates Israel einher.
Linksextremisten fungieren in Bezug auf den Nahostkonflikt als Scharfmacher und Mobilisierungstreiber. Sie organisieren Veranstaltungen zumeist in Berlin, rufen zur Teilnahme an diesen auf und beteiligen sich auch selbst am Protestgeschehen – zum Teil auch mit dem Ziel, neue Anhänger für sich zu gewinnen. Ideologische Überschneidungen (Israelfeindschaft, Antiimperialismus) und gemeinsame Feindbilder wie die Polizei wirken zudem als Treiber der nationalen Vernetzung zwischen deutschen Linksextremisten, Akteuren des säkularen propalästinensischen Extremismus und des türkischen Linksextremismus.
Rechtsextremismus
Rechtsextremisten versuchen, Krisen für ihre Zwecke zu nutzen und dadurch ihre Ideologie in der Mitte der Gesellschaft zu verbreiten. So instrumentalisierten sie von Beginn an auch die Eskalation in Nahost, insbesondere, um migrationsfeindliche Positionen zu propagieren. Im Vordergrund standen dabei Warnungen vor ausufernder Gewalt von Migranten aus dem Kriegsgebiet und einer Verlagerung des Konflikts nach Deutschland, der in Verbindung mit neuen Flüchtlingsbewegungen gebracht wurde.
Daneben wurde der Nahostkonflikt auch im Spektrum der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ und dem Delegitimierungsspektrum aufgegriffen – oft in Form von verschwörungsideologischen Auffassungen mit zum Teil antisemitischen Narrativen. Hier besteht grundsätzlich die Gefahr, dass antisemitische Inhalte – oftmals in codierter oder subtiler Form – auch von nicht-extremistischen Akteuren übernommen und verbreitet werden.
In der Gesamtheit spielt der Nahostkonflikt jedoch bereits seit Längerem eine nurmehr untergeordnete Rolle für die Agitation der rechtsextremistischen Szene.
Ungeachtet dessen bleibt die Bedrohungs- und Gefährdungslage in Bezug auf antisemitisch und fremdenfeindlich motivierte Anschläge oder Gewalttaten von Rechtsextremisten grundsätzlich hoch. Seit Jahren befinden sich entsprechende Straf- und Gewalttaten mit antisemitischer und fremdenfeindlicher Motivation auf einem hohen Niveau.
Staatliche Akteure
Die eskalierte Konfliktlage im Nahen und Mittleren Osten (NMO) beeinträchtigt auch in Hinblick auf Spionage, Cyberangriffe, Desinformation, Einflussnahme und Proliferation die Sicherheitslage in Deutschland. Die Entwicklungen um den 12-Tage-Krieg im Sommer 2025 haben gezeigt, dass der Iran bereit ist, seine politischen Ziele nicht nur mit dem Einsatz seiner Nachrichtendienste, sondern auch seiner Armee durchzusetzen. Zusätzlich bedient sich Iran weiter auch lokaler Stellvertreter wie der „Hizb-Allah“ oder anderer Milizen.
In Deutschland gehören (pro-)israelische sowie (pro-)jüdische Ziele in Folge des 12-Tage-Kriegs vom Juni 2025 und wegen der antiisraelischen Staatsdoktrin Irans zu den herausgehobenen Zielobjekten iranischer Nachrichtendienste.
Daneben zählen Ausspähungsaktivitäten und die Bekämpfung oppositioneller Gruppierungen und Einzelpersonen auch in Deutschland zu den Schwerpunkten iranischer Nachrichtendienstaktivitäten. Dafür greifen sie auch auf stellvertretende Strukturen beispielsweise aus der Organisierten Kriminalität zurück, sogenannte Proxys. Die Durchführung von Cyberangriffen ergänzt das realweltliche Vorgehen Irans gegen Oppositionelle in Deutschland.
Im Bereich iranischer Trägertechnologie- beziehungsweise Raketenprogramme sind die Beschaffungsaktivitäten Irans in Deutschland (Proliferation) anhaltend hoch, mit steigender Tendenz. Da Iran als ein enger Verbündeter Russlands auch Waffen für dessen Angriffskrieg gegen die Ukraine liefert, bleibt ein gegebenenfalls nachrichtendienstliches Zusammenwirken von Russland und Iran im Fokus des BfV.
Im Rahmen des hybriden Agierens Russlands gegen Deutschland zielt der russische Medien- und Staatsapparat darauf ab, im Cyber- und Informationsraum polarisierend auf die öffentliche Meinung in Deutschland einzuwirken, auch mit Bezug auf die Lage im NMO. Dabei kommen immer wieder auch propagandistische Beiträge russischer Medienportale wie RT zum Einsatz. So hatte der Sender im Januar 2025 den Staat Israel als „Terror-Staat“ bezeichnet.
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