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Handlungsfähig und Resilient:
Resümee der 18. BfV/ASW-Sicherheitstagung 2025

Das Veranstaltungsplakat der BfV/ASW-Tagung mit dem Titel "Die Neuvermessung der Welt - Deutschlands Wirtschaft & die Rückkehr der Geopolitik"



(Mai 2025)

Sicherheit schaffen in einer unsicheren Zeit

„Die Neuvermessung der Welt – Deutschlands Wirtschaft & die Rückkehr der Geopolitik“ - so lautete das Motto der 18. Sicherheitstagung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) und der Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft (ASW Bundesverband). Sie fügte sich in die Reihe der Veranstaltungen seit dem Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine ein, der eine deutliche Akzentuierung von Sicherheitsfragen und eine Intensivierung des Zusammenwirkens von Staat und Wirtschaft mit sich brachte.

Dem BfV, mit dem seitdem noch stärker gefragten Bereich Prävention in Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Verwaltung, dient das jährliche hochrangige Tagungsformat zur Kontaktpflege und dem Netzwerkausbau mit Ansprechpartnerinnen und -partnern aus der Wirtschaft und darüber hinaus.

Mehr zum Thema: Wirtschafts- und Wissenschaftsschutz

Die 18. BfV/ASW-Sicherheitstagung stieß mit ihren Impulsen, den vielen Diskussions- und Nachfragemöglichkeiten sowie den Gesprächsmöglichkeiten am Rande des Plenums auf eine positive Resonanz. Deutlich wurde, dass nicht nur Bundeswehr und Nachrichtendienste vor großen Herausforderungen stehen, sondern dass es auf ein entschiedenes gemeinsames Handeln von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft ankommt, um im gegenwärtigen Epochenbruch eine „Neuvermessung der Welt“ gemäß den eigenen Maßstäben sicherzustellen.

BfV-Vizepräsident Sinan Selen skizzierte die Lage so:

„Die Grundannahmen der Sicherheitsarchitektur sind brüchig, die regelbasierte internationale Weltordnung wird unterminiert.

Die aktuellen geopolitischen und geoökonomischen Umwälzungen stellen das Bundesamt für Verfassungsschutz wie alle Nachrichtendienste vor weitreichende Herausforderungen, wie wir sie selten zuvor hatten.

Wir sehen uns mit sich ständig ändernden Allianzen sowie neu formierenden Machtzentren konfrontiert. Unsere Gegner gehen immer aggressiver und komplexer vor, dabei binden sie neue Akteure ein.“



Vorstandsvorsitzender des ASW Bundesverbands Alexander Borgschulze am Rednerpult bei der Begrüßung der Teilnehmenden der 18. BfV/ASW-Sicherheitstagung.
Leo Seidel Fotografie Vorstandsvorsitzender des ASW Bundesverbands Alexander Borgschulze

Die Tagung bot den rund 200 Gästen, mit drei Impulsreferaten und zwei Panel-Diskussionsrunden, viele grundsätzliche Anregungen zu einem ganzheitlichen Sicherheitsverständnis und Handeln in volatiler Unsicherheit.

Der Vorstandsvorsitzende des ASW Bundesverbands Alexander Borgschulze betonte in seiner Begrüßung die Herausforderung für Politik, Wissenschaft und Wirtschaft, in der geopolitischen Zeitenwende Wirtschaft und Sicherheit grundsätzlich neu zu denken. Deutschland dürfe nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen und erneut einseitige Abhängigkeiten aufbauen. Angesichts von Bedrohungen durch bewusst feindliche Maßnahmen im Bereich der Wirtschaft durch Drittstaaten seien Schritte zur Stärkung der Wirtschaftssicherheit unverzichtbar, betonte Borgschulze.

Der BfV-Vizepräsident Sinan Selen unterstrich, dass die seit Jahren bewährte Zusammenarbeit von ASW Bundesverband und dem BfV den notwendigen wie vertrauensvollen Austausch über Gefahren und gebotene Gegenmaßnahmen sicherstelle. Darüber hinaus sei es gleichwohl unausweichlich, so der BfV-Vizepräsident, neue Netzwerke aufzubauen und weitere Kooperationen einzugehen. „Angesichts der epochalen Sicherheitsherausforderungen brauchen wir ein koordiniertes nationales Zusammenwirken von Staat und Wirtschaft“, BfV-Vizepräsident Sinan Selen.

Dynamische Sicherheitslage erfordert robuste Verteidigungslinie

General Carsten Breuer, als Generalinspekteur der ranghöchste Soldat der Bundeswehr und verantwortlich für die Gesamtkonzeption der militärischen Verteidigung sowie für Planung, Führung und Nachbereitung aller Bundeswehreinsätze, stellte einen Überblick zur Sicherheitslage vor. Er führte an, dass die derzeitige sicherheitspolitische Lage überaus dynamisch sei, auch ein Ende der Kämpfe in der Ukraine werde nicht dazu führen, dass die Bedrohung der europäischen Demokratien ende und es Frieden in Europa gäbe.

Als Generalinspekteur ginge er vielmehr davon aus, dass „Russland seine hybriden Angriffe auf Deutschland beliebig rauf und runter eskaliere mit dem Ziel, die Fähigkeit und den Willen zur Verteidigung von NATO, EU sowie deutscher Politik und Gesellschaft zu testen.“ Dabei operiere Russland stets an der Grenze von Innerer und Äußerer Sicherheit, so Breuer weiter. Deutschland brauche deshalb einen neuen Rahmen, um mit solchen hybriden Bedrohungen angemessen umgehen zu können:

„Wir brauchen eine hybride Lagekarte mit verlässlichen Informationen aller relevanten deutschen Akteure. Für Putin ist der Krieg ein Kontinuum. Dagegen wird in Deutschland - und das ist nicht mehr angemessen - immer noch mit festen Grenzen zwischen Frieden, Krise und Krieg gedacht. Wir müssen heute anders auf unsere Bedrohung schauen. Russland will Verunsicherung schaffen und Zugänge legen – und das bedroht uns als demokratische Gesellschaft.“ General Carsten Breuer



Informationen zu den sicherheitlichen Herausforderungen hybrider Bedrohungen finden Sie in dem, von der Bundesakademie für Sicherheitspolitik herausgegeben, Arbeitspapier Sicherheitspolitik Nr. 1/2025 „Noch nicht Krieg, aber auch nicht Frieden – Drei Impulse für nationale Wehrhaftigkeit und Resilienz“.

Generalinspekteur Breuer betonte, dass in Russland Staat, Wirtschaft und Gesellschaft konsequent auf eine Kriegswirtschaft umgestellt seien und in vier bis sieben Jahren in der Lage sein würden, einen Angriff gegen das westliche Bündnis zu führen. Man beobachte, dass Russland seine Wehrbezirke im Westen neu organisiere, seine Armee auf rund 1,5 Mio. Soldaten verdopple und eine immense Aufrüstung betreibe. Längst nicht alle neuen Panzer und Raketen kämen im Angriffskrieg gegen die Ukraine zum Einsatz. Es gelte deshalb, bis 2029 möglichst umfassend abschreckungs- und verteidigungsfähig zu werden.

„Abschreckung ist defensiv, aber nicht nur reaktiv“, resümierte er seinen Überblick in der Diskussion. Dafür sei auch eine neue zivil-militärische Zusammenarbeit notwendig. In diesem Zusammenhang fragte General Breuer die Anwesenden pointiert: „Können Sie Krieg? Wir können kämpfen und wollen gewinnen!"

Abkehr von Abhängigkeiten, Steigerung der Einsatzfähigkeit

Dr. Christian Mölling, langjährig wissenschaftlich zu europäischer Außen- und Sicherheitspolitik tätig und nun bei dem Thinktank European Policy Institut beschäftigt, erweiterte die Perspektive des Generalinspekteurs. Er forderte unter der Überschrift „Managing the Transatlantic Divorce – Ein Fahrplan für einen ‚European Way of War‘“, sich gedanklich auf komplexe Entscheidungen einzustellen und mögliche Szenarien durchzuspielen.

Mehr Informationen dazu finden Sie auf der Seite des European Policy Centre.

Mölling plädierte dafür, dass die Antwort auf die gegenwärtige geopolitische Disruption Transformation sein müsse. Es gelte nun, angesichts des kurz- bis mittelfristigen Fensters der Verwundbarkeit, Abhängigkeiten, auch von den USA, entschieden zurückzulassen und zu europäischer Entscheidungs- und Einsatzfähigkeit zu gelangen:

„Als Europäer können wir gewinnen. Wir haben die Ressourcen und die Fähigkeiten, uns stärker zu machen. Aber wir können die Option Krieg nicht abwählen.“ Dr. Christian Mölling

Die hohe Zahl an Drohnenüberflügen über Kritische Infrastrukturen und militärische Einrichtungen sei nichts anderes als eine „Gefechtsfeldvorbereitung“. Alle Teilbereiche der Gesellschaft, also auch die Wirtschaft, müssten deshalb über Sicherheit und Verteidigung neu nachdenken, so Mölling. Jetzt gehe es darum, gewinnen zu können; diese Botschaft müsse bei allen ankommen.

Orientierung durch neue Allianzen

Dr. Laura von Daniels, Dr. Johannes Plagemann und Dr. Marcel Hattendorf beim Gespräch im Rahmen des Panels "Die Neuordnung der Welt".
Leo Seidel Fotografie Dr. Laura von Daniels, Moderator Bodo Becker, Dr. Johannes Plagemann und Dr. Marcel Hattendorf (v. l. n. r.)


Im Rahmen des Panels „Die Neuordnung der Welt – wer sind die zentralen Mächte“ erläuterte Dr. Laura von Daniels von der Forschungsgruppe Amerika der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) ihre Einschätzung, dass sich die USA von der Rolle einer globalen Ordnungsmacht verabschiedeten. Die langjährigen Allianzen, die für die US-Hegemonialstellung von Bedeutung waren, würden aktiv beschädigt oder aufgekündigt.

Die 47. amerikanische Präsidentschaft werde geprägt sein von einer konfrontativen Grundhaltung gegenüber der EU und Deutschland sowie von einer Präferenz für interessengeleitete Transaktionen wie auch unvorhersehbare Kurswechsel. Die Zeit des amerikanischen „Exzeptionalismus“ – der USA als Vorbild und Ordnungsmacht des freiheitlich-demokratischen Modells rund um die Welt – sei vorbei, fasste von Daniels zusammen.

Auf der Seite der SWP finden Sie die Sammelstudie „Trumps Rückkehr und Europas außenpolitische Herausforderungen“, herausgegeben von Laura von Daniels und Stefan Mair.

Dr. Johannes Plagemann, Senior Research Fellow des GIGA Institut für Globale und Regionale Studien, ergänzte, dass die Staaten des globalen Südens sich mit den jüngsten Volten der US-Politik in ihrer schon lange vorherrschenden Annahme vom Abstieg des Westens und der Skepsis gegenüber Liberalismus und Demokratie bestätigt sehen würden. Die großen drei wesentlichen Pfeiler Deutschlands außereuropäischer Beziehungen der letzten Jahrzehnte (USA, Sowjetunion/Russland und China) seien nun weggebrochen. Deshalb müssten Politik wie Wirtschaft in Deutschland neue Allianzen aufbauen – mit den Staaten in aller Welt, die auf „Fairplay“ in einer regelbasierten Weltordnung Wert legten, so Plagemann.

Weitere Informationen dazu finden Sie im Aufsatz des GIGA Focus Global Nr. 1/März 2025 „Der Globale Süden und die deutsche Außenpolitik: Was auf die neue Bundesregierung zukommt“ von Julia Gurol-Haller und Johannes Plagemann.

Investitionen in Verteidigung der Zukunft

Auch Präsident des Kiel Institut für Weltwirtschaft Prof. Dr. Moritz Schularick, diagnostizierte in seinem Impuls zum Wechselspiel von „Sicherheit der Ökonomie und Ökonomie der Sicherheit“ eine Verschiebung der bestehenden Ordnung. Die alte Wirtschaftswelt mit Wohlstand und Frieden durch Globalisierung sei vorbei. Nun würden wirtschaftliche Ressourcen als Druckmittel für politische Ziele eingesetzt. Deutschland und Europa müssten jetzt verstärkt in Sicherheit und Verteidigung investieren und könnten sich das aus volkswirtschaftlicher Perspektive auch leisten. Ein großer Teil der gebotenen zusätzlichen Verschuldung finanziere sich durch zusätzliches Wachstum in den entsprechenden Branchen selbst, so Schularick. Allerdings dürften wir nicht zu sehr darauf schauen, was bisher Verteidigung gewesen sei. Es gelte, die Verteidigung der Zukunft zu antizipieren – was bedeute, gezielt in die besten Technologien zu investieren.

„Die Weltwirtschaft bewegt sich weg von einem regelbasierten System hin zu einem System, in dem geopolitische Strategien zunehmend die Handels- und Investitionsströme bestimmen.“

Prof. Dr. Moritz Schularick





Einen Artikel zum Thema „Waffen und Wachstum: Die wirtschaftlichen Folgen steigender Militärausgaben" finden Sie auf der Seite des Kiel Institut für Weltwirtschaft.

Neubewertung von Bedrohungslage und Schutzbedürfnissen

Lars Findorff, Moderator Bodo Becker, Robert Braun und Andreas Maack bei einer Diskussion im Rahmen der 18. BfV/ASW-Sicherheitstagung.
Leo Seidel Fotografie Lars Findorff, Moderator Bodo Becker, Robert Braun und Andreas Maack (v. l. n. r.)


Abschließend diskutierten drei Leiter der Einheiten für Unternehmenssicherheit die Frage, wie Deutschlands Unternehmen auf die derzeitigen geopolitischen Dynamiken reagieren. Lars Findorff vom familiengeführten Werkzeugmaschinen- und Lasertechnik-Hersteller TRUMPF SE+Co KG, Robert Braun, Senior Vice President & Head of Corporate Security bei Siemens Healthineers, und Andreas Maack, Chief Security Officer bei der Volkswagen AG, unterstrichen die Beratungsfunktion ihres Arbeitsgebiets für die jeweiligen Unternehmensleitungen angesichts der neuen geopolitischen Unwägbarkeiten. Einig waren sie sich auch darin, dass es eine intensive Debatte in Unternehmen wie Politik geben müsse, wie deutsche Unternehmen einen Beitrag zur Verteidigungsfähigkeit des Landes leisten könnten.

Einen Artikel zu "BDI-Präsident Peter Leibinger bei der Münchener Sicherheitskonferenz: Verteidigung ist eine Haltungsfrage finden Sie auf der Seite des BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie e. V.).

Alle eingeladenen Fachleute kamen in ihren Einschätzungen zu demselben Ergebnis – getreu dem Tagungsmotto „Neuvermessung der Welt“ sei es an der Zeit für eine grundlegende strategische Neubewertung von Bedrohungslage und Schutzbedürfnissen. Ein Aspekt, den dabei alle Expertinnen und Experten benannten: die große Bedeutung der Zusammenarbeit von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft, denn nur durch abgestimmte Strategien und vernetztes Handeln ließen sich die komplexen Sicherheitsherausforderungen bewältigen.

Das breite Medienecho zu der Tagung, die von einer Pressekonferenz begleitet wurde, unterstrich die Relevanz des Tagungsthemas. Erkennen und Abwehren von Spionage, Sabotage, Cyberangriffen, unzulässiger Einflussnahme und Desinformation werden die Arbeit des BfV auch künftig prägen.

Die Neubewertung wirtschaftlicher Verflechtungen und der daraus resultierenden politischen Abhängigkeiten – gerade unter Sicherheitsgesichtspunkten – hatte das BfV bereits 2024 mit einem vom Zentrum für Analyse und Forschung am Bundesamt für Verfassungsschutz (ZAF) vergebenen Forschungsprojekt bearbeiten lassen. Die Ergebnisse der Studie des Instituts für Sicherheitspolitik der Universität Kiel liegen seit März 2025 öffentlich vor.