Radikalisierung
junger Akteure im Rechtsextremismus

(Juli 2025)
Die Verfassungsschutzbehörden stellen bei der Bearbeitung des gewaltorientierten Rechtsextremismus besonders im virtuellen Raum seit mehreren Jahren zunehmend junge, teils minderjährige Akteure fest, die oftmals eine – zumindest verbal geäußerte – ausgeprägte Gewaltbereitschaft erkennen lassen. Eine Anbindung dieser Jugendlichen an klassische rechtsextremistische Strukturen kann hier häufig kaum oder gar nicht festgestellt werden.
Die Radikalisierung findet oft im virtuellen Raum auf weitestgehend unzensierten Plattformen der sozialen Medien statt, darunter Mainstream-Plattformen wie TikTok und Instagram. Die Akteure zeigen dabei Bezüge zur ideologisch heterogenen Attentäterfanszene oder zur Siege-Ideologie.
Neben dieser individuellen Radikalisierung gibt es seit etwa Mitte 2024 ein neues Phänomen:
Bundesweite gewalt- und aktionsorientierte (Jugend-)Gruppierungen, die zunächst im Zusammenhang mit rechtsextremistischen Störaktionen gegen öffentliche Veranstaltungen zum Christopher Street Day (CSD) in Erscheinung traten.
Radikalisierung in (rechts-)extremistischen Online-Subkulturen und Gefahr rechtsterroristischer Angriffe
In den letzten Jahren konnte beobachtet werden, dass schweren rechtsextremistischen Gewaltstraftaten oft eine Radikalisierung im Internet vorausgeht. Neben dem Konsum von Propaganda auf Instagram oder TikTok sind einschlägige sogenannte digitale Echokammern in Form von Chatgruppen in Messenger-Diensten und Foren von großer Bedeutung. Sie fungieren als „Radikalisierungs-Katalysatoren“ und können Personen in kurzer Zeit für rechtsextremistische Anschläge mobilisieren. Im Internet finden sich zahlreiche rechtsextremistische (internationale) Chatgruppen mit teilweise mehreren Tausend Mitgliedern, in denen extreme Gewaltfantasien mit Folter- und Mordaufrufen bis hin zu terroristischen Umsturzvorstellungen geteilt werden.

Die Attentäterfanszene die (Terror-)Anschläge befürwortet und geradezu feiert, betreibt auf Social-Media-Plattformen eine teils schon kultische Verehrung der Täter als „Heilige“ (engl.: Saints). Ihre Nutzer benennen sich in Messenger-Diensten, in sozialen Netzwerken oder auf Gaming-Plattformen selbst nach Attentätern oder verwenden Namen mit Bezug zu ihnen. Brenton Tarrant, der Attentäter von Christchurch (Neuseeland), wird in der Szene besonders glorifiziert.
Neben der Attentäterfanszene ist auch die Siege-Ideologie eine relevante Strömung im Bereich der (rechts-)extremistischen Online-Subkulturen. Ihre Grundlage ist der Akzelerationismus, ein ursprünglich aus dem marxistischen Milieu stammendes Konzept. Rechtsextremistische Akzelerationisten propagieren auf Basis einer rassistischen und antisemitischen Ideologie den Sturz „des Systems“ durch gezielte terroristische Anschläge gegen kritische Infrastrukturen, Minderheiten und politische Repräsentanten. Obwohl ihr Ursprung und Schwerpunkt in den USA liegt, rekrutiert sie zunehmend auch in Deutschland hauptsächlich Kinder und Jugendliche, die von den Gruppierungen meist online radikalisiert werden und nationale Ableger gründen.
Beispiel:
Planungen gewalttätiger Angriffe in Deutschland
Die Gefahr, die von radikalisierten Tätern mit Bezügen zu solchen Online-Subkulturen ausgeht, zeigt sich beispielhaft an den Anschlagsplanungen eines 19-jährigen Deutschen gegen die Synagoge in Halle (Sachsen-Anhalt). Dieser wurde am 14. Februar 2025 im Zuge von Durchsuchungsmaßnahmen der Schweizer Polizeikräfte an seinem Wohnort in Basel festgenommen. Ihm wird vorgeworfen, in einer einschlägigen Telegram-Gruppe der Attentäterfanszene konkretisierte Anschlagsplanungen geäußert zu haben.
Online radikalisierte, anonym agierende Täter sind eine Herausforderung für die deutschen Sicherheitsbehörden, da oft keine direkte Verbindung zu Szenestrukturen vorhanden ist und die Täter nur mit großem Aufwand zu identifizieren sind.
Weitere Informationen über Gefahren digitaler Agitation und Radikalisierung finden Sie in unserer Analyse:
Bildung von Gruppierungen junger gewaltorientierter Rechtsextremisten
Auch in der Realwelt lässt sich eine verstärkte Radikalisierung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Rechtsextremismus feststellen.
Seit Mitte 2024 treten vermehrt gewaltorientierte, rechtsextremistische (Jugend-)Gruppierungen in Erscheinung - zunächst im Zusammenhang mit wiederholten rechtsextremistischen Störaktionen gegen öffentliche Veranstaltungen zum Christopher Street Day (CSD).

Diese Gruppierungen geben sich martialische Namen wie „Jung & Stark“ (JS), „Deutsche Jugend Voran“ (DJV) und „Der Störtrupp“ (DST). Sie konzentrieren sich insbesondere auf reichweitenstarken Social-Media-Plattformen wie TikTok und Instagram auf die Werbung von jungen, internetaffinen, aktionsorientierten und auch gewaltorientierten Personen.
Für ihre rechtsextremistische Agitation bedienen sich die Mitglieder dieser Gruppierungen ideologischer Fragmente, die vor allem in der Auswahl der Feindbilder Ausdruck finden.
Allgemein zeigen sie sich gerade in Bezug auf die LSBTIQ-Community äußerst mobilisierungsstark. Zu einzelnen Demonstrationen gegen CSD-Veranstaltungen konnten teils mehrere Hundert Teilnehmer mobilisiert werden.
Weitere Informationen finden Sie in unserem Hintergrundbeitrag:
Queerfeindlichkeit im Rechtsextremismus
Darüber hinaus spielen die Themen „Remigration“ und die Agitation gegen den politischen Gegner - insbesondere Mitglieder der sogenannten „Antifa“ und sonstige Personen und Organisationen aus der „linken“ Szene – eine wesentliche Rolle. Diese Feindbilder dienen als Projektionsfläche für rechtsextremistisch motivierten Aktionismus und auch für Gewalttaten.
Gewalttaten und Ansatzpunkte für Rechtsterrorismus
Die Gewaltorientierung dieser (Jugend-)Gruppierungen äußert sich nicht nur in militant-aggressivem Auftreten. Einzelne Mitglieder sind bereits realweltlich mit Gewalttaten in Erscheinung getreten. So verurteilte das Berliner Landgericht am 9. April 2025 eine 24-jährige Führungsperson des Ablegers von DJV in Berlin und Brandenburg unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung, Bedrohung und Nötigung zu drei Jahren und drei Monaten Haft.

Von der verbalen Gewaltbefürwortung über die Anstiftung und Durchführung von Gewalttaten kann die Radikalität der Mitglieder von (Jugend-)Gruppen auch in Ansätzen für rechtsextremistischen Terrorismus münden. Jüngstes Beispiel für diese Gewaltspirale und die Gefährlichkeit junger, radikalisierter Rechtsextremisten sind die Exekutivmaßnahmen gegen acht Mitglieder der rechtsextremistischen Jugendgruppierung „Letzte Verteidigungs Welle“ (L.V.W.) am 21. Mai 2025. Ihnen wird zur Last gelegt, Mitglieder oder Unterstützer einer terroristischen Vereinigung gemäß § 129a StGB zu sein.
Sie sollen sich als letzte Instanz zur Verteidigung der „Deutschen Nation“ gesehen und dafür vor allem Brand- und Sprengstoffanschläge auf Asylbewerberheime und Einrichtungen des politisch „linken“ Spektrums geplant und durchgeführt haben.
Zwei Mitgliedern wird schwere Brandstiftung gegen ein Kulturhaus in Altdöbern (Brandenburg) am 23. Oktober 2024 vorgeworfen. Hierbei wurde nahezu der gesamte Gebäudekomplex – zur Tatzeit von mehreren Personen bewohnt – zerstört, und es entstand ein Sachschaden in Höhe von ungefähr 500.000 Euro. Weiterhin sollen zwei Mitglieder der Gruppierung am 5. Januar 2025 einen Anschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft in Schmölln (Thüringen) verübt haben.
Besonders alarmierend bei der L.V.W.: Die acht Tatverdächtigen sind erst 14 bis 21 Jahre alt. Dies zeigt einmal mehr, dass sich auch sehr junge Menschen für schwerste Straf- und Gewalttaten im Namen einer rechtsextremistischen Ideologie motivieren lassen.
Bewertung
Rechtsextremistische Inhalte erreichen im digitalen Raum eine hohe Resonanz und Attraktivität. Professionell und zielgerichtet versuchen rechtsextremistische Akteure, Jugendliche und sogar Kinder ideologisch zu beeinflussen – durch vermeintlich unpolitische oder „humorvolle“ Beiträge und Kampagnen. Häufig werden niederschwellige Einstiege sowie ideologische Versatzstücke angeboten und mit sonstigen weltanschaulichen Positionen vermischt. Dadurch kann es zu schnellen Ideologisierungs- und Radikalisierungsprozessen kommen, die bis hin zu einer Affinität für Gewalt führen können.
Auch mit realweltlichen Aktionen mobilisieren Rechtsextremisten Jugendliche und junge Erwachsene gegen selbsterkorene Feindbilder. Neue rechtsextremistische (Jugend-)Gruppierungen schaffen durch die Teilnahme an Demonstrationen erlebnis- und aktionsorientierte politische Aktionen und befürworten auch gewalttätige Ausschreitungen gegen die LSBTIQ-Community, den politischen Gegner oder Menschen mit Migrationshintergrund. So sollen Gefühle von Gemeinschaft und Zugehörigkeit die Identitätsbildung junger Menschen beeinflussen. Durch das gemeinsame Erleben von Ideologien werden Radikalisierungsräume geschaffen.
(Rechts-)extremistische Online-Subkulturen, die besonders gewaltverherrlichende Inhalte verbreiten und zur Nachahmung (rechts-)terroristischer Taten oder Täter aufrufen, entfalten eine hohe Attraktivität für Heranwachsende und auch Kinder. Entsprechende Strategien zur Ausführung von Gewalttaten, z. B. mit Bezug zur Attentäterfanszene und zur Siege-Ideologie, werden hier diskutiert.
Bei all diesen rechtsextremistischen Agitationsformen besteht stets die Gefahr von schweren Gewalttaten bis hin zu rechtsterroristischen Ansätzen, die die Sicherheitsbehörden vor Herausforderungen stellen.
Das BfV beobachtet daher intensiv die weiteren Entwicklungen im gewaltorientierten Rechtsextremismus und tauscht sich national sowie international mit anderen Sicherheitsbehörden aus. Im Rahmen seines gesetzlichen Auftrags geht es jedem Hinweis nach und leistet so einen wertvollen Beitrag zur Detektion potenzieller Attentäter und zur Verhinderung von Anschlägen oder gewaltbezogenen Handlungen gegen Menschen, die rechtsextremistischen Feindbildern entsprechen.