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Statement von BfV-Präsident Sinan Selen anlässlich des 21. Symposiums des Bundesamtes für Verfassungsschutz am 8. Dezember 2025 in Berlin

Zeitenwende – und jetzt? Die Rolle des BfV in Deutschlands Sicherheitsarchitektur

Datum 08.12.2025

Es gilt das gesprochene Wort!

BfV-Präsident Sinan Selen
Bundesamt für Verfassungsschutz

Sehr geehrter Herr de Vries,

ich danke Ihnen sehr für Ihre Worte; für deren    

  • Deutlichkeit,
  • Klarheit
  • und Wertschätzung.

Deutlich – weil Sie die Brisanz der Lage durchdringen; klar – in der Mahnung, die viel beschworene Zeitenwende aktiv als Auftrag zu begreifen; und wertschätzend – weil sie mit Nachdruck die hohe Relevanz des BfV als deutschen Abwehrdienst unterstreichen.     

Es ist gut, diesen Rückenwind im politischen Raum zu spüren. Er weht uns hoffentlich nicht nur auf der öffentlichen Bühne in die Segel, sondern trägt uns auch erfolgreich durch die Auftragslage. 

Denn mit dem beschriebenen Rückenwind gehen enorme Anforderungen an unsere Sicherheitsbehörden und so auch an uns einher.     

Der Grund dafür sind natürlich die gewaltigen Veränderungen unserer Zeit – und die buchstäbliche Verunsicherung, die sie auslösen. Manche kamen schleichend und unterschwellig – wie

  • die weltweite Regression der Demokratie,
  • der Aufwuchs autoritärer Regime,
  • Globalisierungsschübe,
  • oder neue digitale Technologien.

Andere brachen mit disruptiver Wucht herein – wie

  • der global agierende Terrorismus,
  • Finanz- und Migrationskrisen,
  • oder die Pandemie.

Mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ereignete sich jedoch eine Grenzüberschreitung, welche die Dimension der autokratischen Agenda offenbart.

Das Schlagwort der Zeitenwende brachte die Zäsur auf den Begriff. Denn der militärische Angriff auf die Ostflanke Europas, das Töten und Sterben in der Ukraine verdichten das Gefühl zur Gewissheit, dass eine Situation entstanden ist, in der Passivität keine Option ist.

Dieser Angriffskrieg ist mehr als ein Kampf um ukrainische Erde. Vielmehr ist er eine Nagelprobe

  • im laufenden Systemkonflikt zwischen Autoritarismus und Demokratie,
  • für die Souveränität Europas
  • und die Leistungsfähigkeit Deutschlands.

Die vom Westen befürchtete und von anderen Akteuren befeuerte multipolare Weltordnung ist längst da – und die Bedrohungslage ebenfalls von multipolarer Komplexität.        

In Bezug auf die eben skizzierte Zeitenwende haben wir hierbei kein Erkenntnisproblem. Es gilt aber, die zu ziehenden Schlüsse zu operationalisieren.

Wir müssen uns dabei bewusst machen, dass wir uns nicht auf zukünftige Szenarien vorbereiten. Wir werden in Europa hier und jetzt angegriffen: hybrid; virtuell; analog – und mit Konsequenzen.

Für eine tatsächliche Wende ist es daher unabdingbar, die Frage nach dem „Warum“ der Angriffe in aller Deutlichkeit zu verinnerlichen.

Autokratien folgen dem uralten Mechanismus der Macht, wobei sich der autoritäre Revanchismus aus den Dekaden der behaupteten und vermeintlichen Kränkung oder vermeintlich historischen Ansprüchen speist.

Oftmals wurde dabei die wirtschaftliche Globalisierung vom Westen mit der zu erreichenden Globalisierung seiner Werte gleichgesetzt. Strategische Fragen wurden oftmals dem Imperativ der Ökonomie untergeordnet und Kooperationsgewinne als gegenseitige Anreize für die Abkehr von Geo- und Machtpolitik interpretiert.

Eine Fehleinschätzung, die Autokratien zur strategischen Verbesserung ihrer Ausgangslage im Wettlauf der Mächte zu nutzen wussten.

Sie treten uns als Feinde der liberalen Ordnung entgegen – und nicht als Wettbewerber in der Ordnung.

Und sie sehen die demokratischen Wertesysteme Europas als schwache und dysfunktionale Gebilde.

Im Ergebnis beunruhigt die destruktive Logik der Zerstörung, die transnational agierende

  • Extremisten,
  • Terroristen
  • und revanchistische Regime zu Zweckbündnissen zusammenführt – und antreibt.

De facto sehen wir uns durch eine breite, informelle, aber höchst potente Allianz autoritärer Regime und ihrer Proxies konfrontiert, die taktisch-flexibel und strategisch-ausdauernd eine anti-westliche Agenda verfolgen. 

Während im Ost-West-Konflikt die Rivalen am Ende doch Stabilität durch Abschreckung suchten, ist die gegenwärtige Realität durch asymmetrische Eskalation charakterisiert, um die Demokratien in der Defensive zu halten – und zu zermürben!

Als Abwehrdienst kommt es uns gemeinsam mit unseren Partnern zu, in dem beschriebenen Setting potenzielle Angriffspunkte auf unsere offene Gesellschaft sowie die Instrumente und Methoden fremder Mächte zu beschreiben – und das tun wir in vielfältiger Weise.

Ob Politik, Wirtschaft, Forschung, Militär, Kritische Infrastruktur oder politische Willensbildung:  Alle Teilbereiche der Gesellschaft sind vulnerabel – und im Fokus.

Unsere Gegner – ob autokratische Regime oder autoritärer Extremismus – ziehen ihre Stärke aus der realen oder vermeintlichen Schwäche der freiheitlichen Demokratien.

Sie sind daher Meistersänger der Krise – die sie

  • imaginieren,
  • schüren
  • oder gleich selber kreieren.

Sie verstehen es dabei, die Überreizung der Bürgerinnen und Bürger mit schrillen Meldungen im virtuellen Raum zu nutzen und Ängste zu schüren. Der Strom an Informationen, der in Echtzeit aus aller Welt den Konsumenten erreicht und bedrängt, wird zudem noch von intransparenten Algorithmen gefiltert – verengt die Wahrnehmung und drängt sie in eine Informationsblase.

Das Kriterium der Selektion ist allzu oft die Emotion anstelle von faktenbasierter Information. Und die digitale Kommunikation ein Eldorado für Desinformation.

Profiteure sind 

  • der Populismus – mit seinem polarisierenden Politikansatz;
  • der Extremismus – mit aggressiver Freund-Feind-Logik;
  • Verschwörungstheoretiker – mit ungekannter Reichweite
  • und besagte Systemrivalen – mit gravierenden Mitteln zur illegitimen Einflussnahme.

Abstrakt gesprochen zielen sie allesamt auf die Zielflächen der Funktionalität und Legitimität unserer Demokratie. Beide Elemente hängen miteinander zusammen und bilden die Basis für die Stabilität des Staates – und beide suchen sie zu diskreditieren.

Der Autoritarismus ist in der Offensive – und handelt mit immer größerem Risikoappetit.

Vor allem Russland ist als hybrider Akteur zweifellos 

  • aggressiv,
  • offensiv
  • und eskalativ.

Seine Dienste bringen die Angriffsvektoren ihrer Toolbox breit gefächert zur Anwendung.

Deutliches Zeichen für eine brandgefährliche Entgrenzung sind die Vorbereitung und Umsetzung von Sabotageakten in Deutschland und weiteren europäischen Staaten, für die der Kreml als Hauptverursacher gilt.

Eine Entwarnung ist hierbei nicht in Sicht. Grundsätzlich kann jeder Bereich der Gesellschaft betroffen sein.

Das Risiko bleibt abhängig von der russischen Lagebewertung in Bezug auf den Angriffskrieg gegen die Ukraine und den Konflikt mit den demokratischen Unterstützerstaaten in Europa. Einzig geleitet von Opportunitätserwägungen kann der Kreml die Intensität seiner Sabotageoperationen beliebig skalieren.

In der Rolle als Logistik-Drehscheibe im Bereich der Bündnisverteidigung und Unterstützung der Ukraine wird Deutschland vermutlich stärker ins Fadenkreuz russischer Dienste geraten, als andere europäische Staaten. Sabotage kann dabei sowohl physisch als auch mittels Cyberaktivitäten erfolgen.

Flankiert werden diese Aktionen durch Desinformation, Cyberangriffe und Einflussoperationen. Es wäre falsch, einzelne Handlungsfelder und Ereignisse isoliert zu betrachten. So sehr die Tatgelegenheit nach opportunistischen Erwägungen gewählt wird – das Konzept ist ein ganzheitliches und koordiniertes.

Bei dieser Lagebeschreibung dürfen wir weitere gleichrangige Bedrohungsfelder nicht aus dem Blick verlieren:

Die Ereignisse der letzten Monate zeigen überdeutlich, dass 

  • jüdische und israelische Ziele in Deutschland auch weiterhin im Fokus des Iran, aber auch von Akteuren wie Hamas stehen,
  • der internationale Terrorismus weiterhin die Sicherheit Deutschlands und Europas bedroht und durch diese Akteure gerade junge Menschen im virtuellen Raum radikalisiert und angeleitet werden,
  • sowie in allen Phänomenbereichen der aktions- und gewaltorientierte Extremismus die Gefahren- und Bedrohungslage weiterhin verschärft.

In den 75 Jahren unseres Bestehens war das BfV immer wieder mit veränderten Herausforderungen konfrontiert, hat diese verstanden und Antworten hierauf gefunden.

Unsere freiheitliche demokratische Grundordnung ist heute aber, anders als in den vergangenen 75 Jahren, einer stärkeren Gleichzeitigkeit und Verzahnung in Bezug auf unterschiedliche Phänomene, Akteure und Methoden ausgesetzt.

Nur einige Beispiele:

  • Komplexe geheimdienstliche Operationen von Spionen und der Einsatz sogenannter Wegwerfagenten bestehen nebeneinander, hybride Angriffe werden immer ausgefeilter;
  • Cyberangriffe sind in der Methodik vielfältig und dienen mitunter der Vorbereitung weiterer, analoger Aktionen;
  • OK-Strukturen und Kriminelle werden durch staatliche Akteure für Anschlagsplanungen eingesetzt und Cyberkriminelle arbeiten für Geheimdienste;
  • Akteure aus verschiedenen Phänomenbereichen vernetzen sich im Kontext mit dem Konflikt im Nahen Osten und internationalisieren sich zunehmend.

Mehr noch als in den vergangenen 75 Jahren ist das BfV als Abwehrdienst gefordert, sich an das veränderte Setting anzupassen, was nichts anderes ist, als eine tiefgreifende Transformation, die sich in vier Feldern abspielt: 

  • Schärfung der Prioritäten
  • Klare methodische Ausrichtung
  • Stärkung der Reaktions- und Handlungsfähigkeit
  • Verzahnung mit unseren Partnern

Was unsere Prioritäten angeht, fasse ich nochmal zusammen:

  • Die Demokratie wird von autokratischen Regimen als Gegner definiert und mit hybriden, virtuellen sowie analogen Angriffen überzogen.
  • Internationale jihadistische Gruppierungen wie der IS manipulieren und rekrutieren in sozialen Medien junge Menschen und schüren Hass gegen Juden, Christen oder den Westen im Allgemeinen.
  • Gewaltbereite Extremisten bauen ihre Fähigkeiten aus, stören Veranstaltungen, sabotieren Infrastruktur, schüchtern erklärte Gegner ein oder gehen mit großer Brutalität sogar zum Angriff über.

 Deshalb fokussieren wir diese Phänomene als gleichrangige Kernrisiken, um sie mit größtmöglichem Effekt zu bearbeiten – und abzuwehren: 

  • erstens, hybride Angriffe und Aktionen durch fremde Mächte,
  • zweitens, den internationalen Terrorismus
  • sowie, drittens, den gewaltbereiten und aktionsorientierten Extremismus. 

Sie gefährden alle in unterschiedlicher Ausprägung und Stoßrichtung 

  • die Sicherheit der Bevölkerung,
  • das Vertrauen in die Demokratie
  • und die Stabilität der Bundesrepublik. 

Wir behalten dabei weiterhin alle Akteure des legalistischen Spektrums im Blick, deren Handeln sich nachteilig auf die Sicherheit Deutschlands auswirkt, die Verbindungen zu den dargestellten Handlungsfeldern aufweisen oder diese unterstützen. 

Unsere methodische Ausrichtung folgt dem Dreiklang: 

  • Detektion,
  • Disruption
  • und Prävention! 

Sprich: 

  • Gefahrenpotentiale erkennen,
  • Bedrohungen unterbinden
  • und die Präventionsarbeit optimieren. 

Das ist mehr als das Sammeln und Auswerten von Informationen. Diese Beschreibung bildet das Aufgabenspektrum eines modernen Abwehrdienstes nicht in Gänze ab.

Die dynamische Sicherheitslage erfordert eine hohe Handlungs- und Reaktionsfähigkeit und das ist unser drittes Handlungsfeld. Einige Beispiele: 

  • Angesichts kürzester Planungsphasen für gefährliche Aktionen kommt der frühzeitigen Detektion und Identifikation von Akteuren und deren Netzwerken und der Beobachtung relevanter Plattformen im virtuellen Einsatzraum eine entscheidende Bedeutung zu. Dieses Handlungsfeld hat absolute Priorität und wir bauen unsere Fähigkeiten kontinuierlich aus. Ich hoffe, dass uns zukünftig die Befugnisse und Fähigkeiten zur Verfügung stehen, über die auch andere europäische Partnerdienste verfügen.
  • Die Vernetzung und Koordination von Täterstrukturen werden immer komplexer – im virtuellen ebenso wie im analogen Einsatzraum. Relevante Netzwerke und deren Finanzströme zu durchdringen ist eine Kernaufgabe der Nachrichtendienste. Wir folgen hierbei einem datenzentrierten Ansatz, der frühzeitig Anknüpfungspunkte für weitere Folgemaßnahmen bietet.
  • Wir müssen sowohl schnell auf den einzelnen Sachverhalt reagieren, als auch sich ankündigende Kampagnen erkennen, digital, wie analog. Dafür sind strukturierte, behördenübergreifende Meldeverfahren und die Beobachtung des virtuellen Einsatzraumes in allen Phänomenbereichen von großer Bedeutung. Auch hier fließen unsere Kapazitäten ein.
  • Hybride Aktionen folgen keinen Zuständigkeiten. Entsprechend sind wir inmitten eines Kulturwandels hin zu einem Denken und Handeln in Fähigkeiten anstelle von phänomenologischen Zuständigkeiten. Für die Fallbearbeitung ziehen wir die Mitarbeiter bei, die die erforderliche Kenntnis haben.

Das letzte Feld betrifft die Zusammenarbeit und Vernetzung:

Spionage, Sabotage, Cyberangriffe durch staatliche Akteure und die hybride Bedrohung sind zentrale Herausforderungen, die nicht nur eine einzelne Sicherheitsbehörde betreffen. Sie fordern uns als Verbund in einem abgestimmten und koordinierten Vorgehen. Grundlage hierfür ist nichts geringeres als Austausch, Vertrauen und Teamgeist. Ich bin froh, dass genau diese Partner der Bundessicherheitsbehörden und des Verfassungsschutzverbundes an unserem Symposium teilnehmen.

Genau Sie meine ich, wenn ich von noch engerer Partnerschaft spreche. Im sicherheitsbehördlichen Kontext haben wir zuerst im Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum GTAZ diese Idee mit Leben gefüllt und später im GETZ auf weitere Phänomenbereiche ausgeweitet. So auch im Bereich Spionage.

Doch heute haben wir es nicht mehr nur mit klassischer Spionage zu tun. In einem multipolaren Umfeld wirken verschiedene Akteure zusammen und kooperieren. Der gesamte Baukasten hybrider Aktionen steht den Angreifern zur Verfügung und staatliche Akteure bedienen sich verschiedener Proxys – bei Cyberangriffen, Sabotageaktionen, Desinformation, Einflussoperationen und Spionage. Um diesem Rahmen gerecht zu werden ist es erforderlich, das GTAZ-Modell weiterzuentwickeln. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich verrate, dass wir hieran arbeiten und diese Ideen mit unseren Partnern besprechen werden.

Dies betrifft auch die Wirtschaft und den Wirtschaftsschutz, die wir in diese Planungen einbeziehen werden. Nicht nur als Bedarfsträger und Kunden, sondern vielmehr als integrale Partner zur Schaffung einer resilienten und abwehrbereiten Infrastruktur.

Wir haben es zunehmend mit internationalen Wechselwirkungen zu tun, die auf Europa einwirken. Die Abwehrdienste in Europa haben sich darauf eingestellt. Wir arbeiten eng und effektiv zusammen und bauen diese fortlaufend aus, gerade in Bezug auf die Abwehr hybrider Aktionen. Ich halte es für wichtig, dass wir in diesem Verbund über gleichförmige Fähigkeiten und Befugnisse verfügen. Nur so können wir grenzüberschreitend nahtlos zusammenarbeiten und uns unabhängig aufstellen.

Das Grundmodell der wehrhaften Demokratie hat sich, allen Äußerungen von außen oder innen zum Trotz, seit 75 Jahren bewährt. Es ist gerade von jener Entschlossenheit zur wehrhaften Selbstbehauptung getragen, die sicherheitspolitische Maßnahmen den Herausforderungen folgen ließ.

Auch die 75-jährige Wirkungszeit des BfV bezeugt diese Tatsache!

Reformen und pragmatische Anpassungen sind für uns kein Novum. Vielmehr ist ein Modernisierungskreislauf in 

  • rechtlicher,
  • organisatorischer
  • und methodischer Hinsicht essentiell, damit wir unserer Mission gerecht werden. 

Die Geschichte unseres Dienstes zeigt, dass dies ein fortlaufender Zyklus ist – und sein muss. In einer Bedrohungslage, die durch das Verschwimmen von Grenzen gekennzeichnet ist – sei es 

  • bei internationalen Konflikten, die auf Deutschland durchschlagen,
  • der erschwerten Differenzierung von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren,
  • der dogmatischen Zuordnung von Phänomenen
  • oder den Synergieeffekten von analogen und virtuellen Wirkmitteln 

– müssen wir in der Lage sein, Grenzen setzen zu können. 

Es gilt daher, die Sicherheitsarchitektur zu härten – technisch, physisch und mental.  

Dazu leistet das BfV seit 75 Jahren seinen Beitrag – und möchte weiter seine Fähigkeiten optimieren und einbringen. 

Auch wenn es manche in diesen Tagen nicht hören oder verstehen wollen: dies geschah in diesen 75 Jahren immer auf dem eindeutigen Pfad der Rechtsstaatlichkeit und demokratischer Kontrolle mit gesetzlich klar definierten Befugnissen auf der Basis der freiheitlichen Ordnung des Grundgesetzes und damit als klares Gegenmodell zu Geheimdiensten totalitärer Systeme. Diejenigen, die im gesamten Verfassungsschutzverbund tagtäglich für die Abwehr dieser Bedrohungen von innen und außen einstehen, haben Respekt und Anerkennung verdient. Daher stelle ich mich jeglicher Beleidigung, Diffamierung und Häme gegenüber meinen Kolleginnen und Kollegen, gleich ob im BfV oder den Landesämtern, gleich ob als Mitarbeiter im Einsatz oder als Präsident eines Landesamtes, entschlossen entgegen und hoffe, auch in diesem Punkt auf Ihre Unterstützung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

„die Starken tun, was sie wollen, und die Schwachen ertragen, was sie müssen.“¹

Es ist der berechtigte Stolz von Demokratinnen und Demokraten, mit dem Rechtsstaat – in dem die Macht des Rechts und nicht das Recht der Macht herrscht – diese harte Logik zu brechen. 

Wir favorisieren die regelbasierte Ordnung – denn nur sie spannt den Raum für gleichberechtigte Freiheit auf. Doch lehrt uns die Geschichte, dass es Stärke braucht, um die Regeln zu setzen.

Meine Ausführungen sollten eines verdeutlichen:

Auch wenn wir im internationalen Kontext unter veränderten Bedingungen arbeiten und sich Kooperationslinien verändern, auch wenn wir vor erheblichen Herausforderungen einer sich immer schneller verändernden Welt in Bezug auf Technologie, Informationsgesellschaft und Medienlandschaft stehen und auch wenn wir durch die Gleichzeitigkeit der verschiedenen Bedrohungsfelder in unserer Sicherheitsarchitektur als Sicherheitsbehörden – aber auch als westliche demokratische Gesellschaften – gefordert sind, sind wir – wie in den letzten 75 Jahren – willens und in der Lage, auch auf diese veränderten Bedingungen flexibel zu reagieren und Antworten zu bieten.

Durch Stärkung unserer Handlungs- und Abwehrfähigkeiten in rechtlicher, technischer, methodischer und personeller Hinsicht. In der Sicherheitsarchitektur ebenso, wie in der Gesamtverteidigung.

Durch die Weiterentwicklung der Allianzen mit denjenigen Partnern, die wie wir die regelbasierte Ordnung und Sicherheit Europas und der Welt schützen und fordern.

Durch Vernetzung und Koordination unserer Fähigkeiten, etwa die Einrichtung des Nationalen Sicherheitsrats oder die Weiterentwicklung unserer sicherheitsbehördlichen Kooperationsformate untereinander und mit Partnern der Wirtschaft.     

Was sich also im deutschen Diskurs mit dem plakativen Begriff der Zeitenwende durchzusetzen begann, ist mehr als nur das Erschrecken über einen unerhörten russischen Angriffskrieg auf europäischem Boden oder Verschiebungen in einer multipolaren Welt; es ist vielmehr die Wiederentdeckung, dass demokratische Souveränität und Integrität auch robustes Handeln zur Abschreckung erkannter Feinde beinhalten kann – und muss.

Die Stärke freier Demokratien liegt gerade in ihrer Offenheit und Flexibilität. Sie hat in einem Weltkrieg Militarismus und Totalitarismus besiegt – und in einem Kalten Krieg abgeschreckt. 

Abschreckung funktioniert aber nur über Fähigkeiten – die immer wieder durch wohlüberlegte Maßnahmen erworben und geschärft werden müssen.

Deshalb danke ich dem BMI und Ihnen – Herr Staatssekretär de Vries – sowie allen Unterstützern für den Mut, angesichts der Zeichen der Zeit die notwendige Anpassung unserer Toolbox und Ressourcen zu forcieren – und möchte Sie ermutigen, in diesem Streben nicht nachzulassen.

Ebenso können Sie fest davon ausgehen, dass wir die Zeichen der Zeit verstanden haben und darauf reagieren.

Fokussiert, schnell – aber unaufgeregt.   

Die Freiheit der offenen Gesellschaft verlangt nach diesen Schritten, damit wir ihr Schicksal aktiv gestalten können, statt es ohnmächtig zu erdulden

Das ist keine Absichtsbekundung, sondern vielmehr bereits gelebte Realität unseres Hauses, aber auch in der gesamten deutschen Sicherheitsarchitektur – und, wie ich meine, unseres Landes.

Vielen Dank.

¹ Thukydides, Melierdialog, Der Peloponnesische Krieg.