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Statement von BfV-Vizepräsident Sinan Selen zur Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2024

Datum 10.06.2025

Es gilt das gesprochene Wort!

Ganz herzlichen Dank, meine sehr geehrten Damen und Herren,
auch für die umfassende Darstellung der Lagefelder durch Herrn Minister Dobrindt.

Lassen Sie mich einige wenige Aspekte herausziehen und vertiefen. Zunächst drei wesentliche Aspekte:

Nach wie vor ist der digitale Raum für verschiedene Akteure Wirkfläche für Radikalisierung, Anleitung und Vernetzung. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern – im Gegenteil. Wir haben eine sehr dynamische und schnelllebige Anpassung an entsprechende Bekämpfungsstrategien der Sicherheitsbehörden zu verzeichnen.

Daneben wirken sich internationale Konflikte in erheblichem Maße auf die Strukturen in Deutschland aus, prägen den Diskurs und auch die Aktionen, die daraus folgen. Das gilt insbesondere für die Situation im Nahen Osten. Und wir sehen immer jüngere Menschen, die sich online radikalisieren, angeleitet werden und mitunter zu Aktionen übergehen. Dieser Umstand stellt uns vor besondere Herausforderungen, weil sie nicht ideologisch über einen langen Zeitraum geprägt werden, sondern sich sehr schnell radikalisieren und die Bereitschaft entwickeln, zur Tat überzugehen.

Drei Themenfelder beschäftigen uns besonders:

Dies sind die Aktivitäten russischer Nachrichtendienste, die durch Herrn Minister bereits angesprochen worden sind. Hier erleben wir die gesamte Bandbreite von Spionage, Sabotage, Cyberangriffen und Einflussnahme. Die Wirkflächen umfassen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gleichermaßen. Russland setzt dabei ein breites Instrumentarium ein; von Low-Level Agents bei Ausspähung und Sabotage über APT Gruppen bei Cyberoperationen bis hin zu Desinformations-Ökosystemen, die auf die Gesellschaft einwirken sowie Diskreditierungsoperationen, die die ein oder andere Person individuell und sehr unmittelbar betreffen.

Wir haben darüber hinaus im Bereich des islamistischen Terrorismus den sogenannten IS als zentralen Akteur – nicht nur für Operationen, sondern auch in der Online-Radikalisierung. Dem IS ist es gut gelungen, das Thema „Naher Osten“ und Palästina für sich zu gewinnen, in der Radikalisierung in den Narrativen einzubauen und damit gerade auf junge Menschen einwirken zu können. Daraus erklärt sich auch – die Zahl ist genannt worden – das islamistische Personenpotential von 28.000 Personen. Ein Drittel davon gilt als gewaltorientiert. Dies ist ein Potential, mit dem wir umgehen müssen in Deutschland und woraus sich auch die Ausschreitungen im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt erklären lassen.

Wir haben im auslandsbezogenen Extremismus propalästinensische extremistische Gruppierungen, die wir gerade im Versammlungsgeschehen 2024 beobachten konnten. Auch hier hat sich die Zahl erhöht: auf rund 1000 propalästinensische Extremisten.

Was uns im Bereich Rechtsextremismus besonders beschäftigt sind junge, wenig ideologisch geschulte, äußerst gewaltaffine und radikalisierte Onlinesubkulturen. Dieser Personentypus ist im Islamismus gegeben und wird auch im Rechtsextremismus festgestellt. Zwei Organisationen beziehungsweise Gruppen sind hier zu nennen: „Jung & Stark“ und „Deutsche Jugend Voran“. Sie haben in diesem Kontext eine besondere Rolle eingenommen – beispielsweise mit Störaktionen im Zusammenhang mit Christopher Street Day Veranstaltungen. Und denken Sie auch an die Exekutivmaßnahmen im letzten Jahr gegen die „Sächsische Separatisten“ oder die Aufklärung der rechtsterroristischen Vereinigung „Letzte Verteidigungswelle“, die im letzten Monat zur Festnahme von mutmaßlichen Mitgliedern führte. Es wird deutlich, dass es sich nicht nur um ein digitales Phänomen handelt, sondern wir auch im analogen Einsatzraum ein Wechselspiel feststellen müssen.

Was bedeutet das für uns?

Wir haben es mit verschiedenen Bedrohungslagen zu tun. Das heißt für unsere Arbeit, dass wir zunehmend fall- und themenbezogen Fähigkeiten unseres Hauses zusammenführen sowie flexibel und bedarfsorientiert auf aktuelle Ereignisse und Entwicklungen reagieren; – sprich: eine agile Vernetzung von Fähigkeiten anstelle vom Denken in Zuständigkeiten. Das ist der Ansatz, den wir befördern.

Die Dynamik im virtuellen Einsatzraum erfordert auch für uns neue Herangehensweisen; nicht nur Befugnisse, sondern auch eine Methodik, die sich fortlaufend an die Bedrohungslage anpasst. Das wird natürlich – und da bin ich Herr Minister Dobrindt sehr dankbar – nicht ohne die entsprechende Unterstützung gehen mit Blick auf die personelle Ausstattung und die rechtlichen Befugnisse. Die Schritte sind an dieser Stelle getan und da bin ich dankbar.

Eine dritte Priorität ist die Radikalisierung gerade junger Menschen sowie die Wirkung von Desinformation und Verschwörungstheorien. Sie dienen dazu, tiefe Gräben in die Gesellschaft zu ziehen. Hier kommt dem BfV als Abwehrdienst eine sehr wichtige Rolle zu – gerade in der Früherkennung entsprechender Radikalisierungsprozesse einerseits und dem Erkennen und der Analyse der dahinterstehenden Akteure andererseits.

Auch in diesem Feld sind wir stark darum bemüht, unsere Handlungsfähigkeit noch weiter zu verstärken und unsere Methodik anzupassen an die neuen Lageentwicklungen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.