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Rede von BfV-Präsident Thomas Haldenwang auf dem 23. Europäischen Polizeikongress

Thema: „Das Bundesamt für Verfassungsschutz - 70 Jahre im Dienst der wehrhaften Demokratie“

Datum 05.02.2020

Es gilt das gesprochene Wort!

Lieber Herr Proll – herzlichen Dank für Ihre Einladung zum Europäischen Polizeikongress 2020.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

vor einer Woche – am 27. Januar – wurde der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz vor 75 Jahren erinnert:

Im kollektiven Gedächtnis der Menschheit steht Auschwitz für den nie gekannten Abgrund, in den sich das deutsche Volk unter der nationalsozialistischen Diktatur stürzte – und Millionen unschuldige Opfer mit sich riss.

Auschwitz steht für monströse Leichenberge in ganz Europa – und damit für das Unbegreifliche und Unverzeihliche.

Ich zitiere unseren Bundespräsidenten Dr. Frank-Walter Steinmeier, der in der vergangenen Woche anlässlich des Tages des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus vor dem Bundestag bekundete – Zitat:

„Wer verstehen will, muss sich an die Wurzeln des nationalsozialistischen Weltbildes erinnern – an völkisches Denken, an Antisemitismus und Rassenhass, an die Verrohung der Sprache schon in der Weimarer Republik, an die Zerstörung der Vernunft, an den Einzug der Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung und auch an die Verächtlichmachung des Parlaments, die Zertrümmerung des Rechtsstaates und der Demokratie.“

Indem Auschwitz für den Moment des totalen moralischen Zusammenbruchs steht, ist es auch zu einer Zäsur für die deutsche Nachkriegsgeschichte geworden – denn die Bundesrepublik und ihre Institutionen sind nur als radikaler Gegenentwurf zur NS-Gewaltherrschaft begreifbar.

Oder – erneut in den Worten unseres Bundespräsidenten:

„Der erste Satz unserer Verfassung sagt jedem, der ihn lesen kann und lesen will, was in Auschwitz geschehen ist. Der freiheitlich-demokratische Rechtsstaat ist die Umkehrung des völkischen Denkens. Er stellt die Menschenwürde jedes Einzelnen ins Zentrum. Wer also erinnern will, wer das Andenken der Opfer ehren will, der muss Demokratie und Rechtsstaat schützen, wo immer eines von beiden infrage gestellt ist!“

Offensichtlich hat sich also der Europäische Polizeikongress auch dieses Jahr eine treffsichere Überschrift gegeben:

„Europa: Rechtsstaat durchsetzen.“

Denn die Worte des Bundespräsidenten ermahnen uns, dass das Gedenken an vergangenes Unrecht wichtig, aber nicht ausreichend ist! Das Gedenken muss auch zur Handlung führen, damit Verantwortung nicht nur beschworen, sondern auch übernommen wird!

Jeder Tag, an dem in Deutschland

  • das Grundgesetz,
  • die Demokratie
  • und der Rechtsstaat

durch seine Bürgerinnen und Bürger, Behörden und Institutionen

  • gewürdigt,
  • gelebt
  • und geschützt werden,

wird die Niederlage von Hass, Totalitarismus und Gewaltherrschaft erneut besiegelt.

Meine Damen und Herren,

das Bundesamt für Verfassungsschutz – das dieses Jahr sein 70-jähriges Bestehen feiert – übernimmt täglich im Verbund mit nationalen und internationalen Sicherheitsbehörden Verantwortung für den Schutz von Demokratie und Rechtsstaat:

  • Sein Auftrag,
  • seine Struktur
  • und sein Selbstverständnis

ist ebenfalls ein radikaler Gegenentwurf zu den Geheimdiensten des NS-Regimes.

Als das Bundesamt 1950 seine Arbeit aufnahm, war es eine Neugründung: Es wurde bewusst darauf verzichtet, auf Vorgänger-Organisationen aufzubauen.

Unter keinen Umständen sollte eine neue Geheime Staatspolizei (Gestapo) entstehen! Das Amt wurde in einem mühsamen Prozess von Vertretern der Bundesrepublik und den drei Westmächten neu aufgestellt.

Der einstige Polizeistaat – der alles durfte, was er konnte, wich dem Rechtsstaat – der nur kann, was er auch darf!

Der Verzicht auf exekutive Befugnisse – das berühmte „Trennungsgebot“ – und die föderale Konstruktion des deutschen Verfassungsschutzsystems sind sichtbare Belege für das Bemühen, mit repressiven Geheimdiensttraditionen zu brechen und einen Nachrichtendienst ohne Zwangsmittel zu schaffen!

Seit 1950 dient das Bundesamt nun dem Demokratieschutz, indem es Informationen über politische Bestrebungen

  • sammelt,
  • analysiert
  • und zu Erkenntnissen verdichtet, die sich gegen die Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung richten.

Blickt man auf diese 70 Jahre zurück, erkennt man zweierlei:

  • Erstens, die großen Herausforderungen für eine junge Demokratie, die sich unter komplizierten Bedingungen festigen musste;
  • und, zweitens, die Maßnahmen des Rechtsstaates und seiner Institutionen, um die Wehrhaftigkeit der Demokratie zu gewährleisten.

So war das Bundes-Verfassungsschutz-Gesetz von 1950 äußerst knapp gehalten: Es bestand nur aus 6 Paragraphen, die sich auf organisatorische Regelungen und Aufgabenstellungen beschränkten.

Die konkreten Arbeitsaufträge für den Verfassungsschutz resultierten aus zwei unmittelbaren Bedrohungen:

  • Es galt, erstens, die Republik gegen Umsturzversuche von Links- oder Rechtsextremisten abzusichern. Das Ende der Weimarer Republik, die von innen heraus abgeschafft wurde, war eine Erfahrung, die man nicht ignorieren konnte.

In diesem Sinne waren die Verbote der Sozialistischen Reichspartei (SRP) und der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) durch das Bundesverfassungsgericht in den 1950er Jahren das sichtbare Muskelzucken einer noch jungen Demokratie, die sich als streitbar begreift. Es galt der Grundsatz:

„Bonn ist nicht Weimar!“ – Nie mehr sollte Antidemokraten die Freiheit zur Abschaffung der Freiheit gewährt werden!

Während also im Sinne des Staatsschutzes die Abwehr von innerer und äußerer Subversion in den Fokus genommen wurde, trat in den 1970er-Jahren neben der Spionageabwehr eine spürbare Belastung hinzu:

Im Fahrwasser der antiautoritären´68er-Bewegung entstanden innerhalb des linken Lagers – häufig aus bürgerlichen Kreisen kommend – kleinste Zusammenschlüsse, die zum Teil Gewaltstrategien verfolgten.

Mit der Gründung der sogenannten Roten Armee Fraktion (RAF) erfasste die Bundesrepublik eine bis dahin nie gekannte Terrorwelle, die 1977 mit der Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer, seines Fahrers, dreier Polizeibeamten und der Entführung der Lufthansa- Maschine Landshut ihren Höhepunkt fand.

Der Terrorismus der 1970er- bis 1990er-Jahre hat das Sicherheitsgefühl und die Gesetzgebung in Deutschland geprägt.

Neben den Mordanschlägen der RAF erfuhr die Innere Sicherheit auch ihre erste Internationalisierung:

Eine Zunahme politischer Gewalttaten militanter Ausländergruppierungen verschärfte die Sicherheitslage.

Denken Sie etwa an den Anschlag am Flughafen München-Riem 1970 – oder an den Anschlag auf die Olympischen Spiele in München 1972 durch jeweils palästinensische Terrorkommandos.

Das Bundes-Verfassungsschutz-Gesetz von 1972 berücksichtigte diese neue internationale Dimension und erweiterte das Aufgabenspektrum um den Ausländerextremismus.

Dann – meine Damen und Herren – fiel 1989 die Berliner Mauer – und mit Ihr das einst gigantische Bedrohungspotential des Warschauer Paktes.

Nachdem über Jahrzehnte in Westeuropa Grenzblöcke verschwanden und die Europäische Gemeinschaft blühte, begann ein Völkerfrühling, der nun auch die Länder des ehemaligen Ostblocks mit einschloss.

1990 wurde nicht nur Deutschland, sondern Europa wiedervereinigt!

Der berechtigte Jubel über das friedliche Ende des Ost-West-Konfliktes führte jedoch schnell zu unberechtigter Kritik an der Fortexistenz des Verfassungsschutzverbundes.

Die aktuelle Liegenschaft des Bundesamtes in Köln wurde exakt 1989 fertiggestellt – und musste sich beim Einzug der Mitarbeiter bereits der Frage nach seiner Existenzberechtigung stellen.

Während jedoch die Spionageaktivitäten gegen die Bundesrepublik durch die östlichen Nachrichtendienste tatsächlich zum Erliegen kamen, stellte sich im Bereich der Inneren Sicherheit leider keine „Friedensdividende“ ein:

Eine Welle fremdenfeindlicher Gewalt führte drastisch die Virulenz des Rechtsextremismus und -radikalismus vor Augen.

Denken Sie nur an die beschämenden Bilder der ausländerfeindlichen Ausschreitungen von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen – oder an die tödlichen Brandanschläge in Mölln und Solingen!

Und – wie Sie alle wissen – verlor das noch junge Jahrtausend bereits am 11. September 2001 seine Unschuld:

Mit den grausamen Anschlägen durch islamistische Terroristen – live vor einem globalen Publikum inszeniert – verschärfte sich die Sicherheitslage in ungekanntem Ausmaß.

Die Tatsache, dass einige der Attentäter des 11. Septembers längere Aufenthalte in Deutschland hatten, belegte den enormen Handlungsdruck, den sich auch die deutschen Sicherheitsbehörden schlagartig ausgesetzt sahen.

Bereits 2002 wurde mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz eine unmittelbare gesetzliche Reaktion auf den Weg gebracht.

Es orientierte sich – ebenso wie viele Neuregelungen die danach folgten, an der Bekämpfung eines international agierenden Terrorismus:

Mit der Beobachtung von Bestrebungen, die „gegen den Gedanken der Völkerverständigung (…), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (…)“ gerichtet sind, erfolgte die Aufnahme eines weiteren Aufgabenfeldes. Damit sollten insbesondere die sogenannten Hassprediger erfasst werden.

Die neuen Befugnisse hatten zum Ziel, internationale Finanz- und Reiseströme sowie Kommunikationsstrukturen extremistischer und terroristischer Netzwerke aufzuklären.

Denn seit dem 11. September 2001 verloren weltweit ungezählte Menschen im Namen des Terrorismus ihr Leben.

Es ist ein Terrorismus,

  • der durch den Missbrauch religiöser Motivation gespeist ist,
  • einen transnationalen Charakter besitzt
  • und bereits etliche Erscheinungsformen hervorgebracht hat.

In den vergangen zwei Dekaden hat das Bundesamt für Verfassungsschutz enorme Kraftanstrengungen unternommen, um dem Islamismus und islamistischen Terrorismus wirkungsvoll entgegentreten zu können.

Die Gefahr durch schwerste terroristische Anschläge erforderte

  • eine Schwerpunktsetzung in Richtung des gewaltbereiten Extremismus
  • sowie konkrete Fallbearbeitung von Einzelpersonen und kleinsten, klandestinen Gruppen.

Aber damit nicht genug:

Blicken wir noch auf das vergangene Jahrzehnt, dann sehen wir weitere fundamentale Ereignisse und Großtrends, die bis heute auf die deutsche Sicherheitslage einwirken:

  • Ende 2011 wurde in Deutschland der sogenannte Nationalsozialistische Untergrund (NSU) bekannt. Unter den entsetzten Augen der Öffentlichkeit mussten die Sicherheitsbehörden der beschämenden Tatsache ins Auge sehen, dass der rechtsterroristische NSU über Jahre hinweg unentdeckt zehn Morde verüben konnte.
  • Zuvor setzte 2010 der „Arabische Frühling“ eine Serie von Protesten, Aufständen und Revolutionen in der arabischen Welt in Gang, die etliche Staaten im Nahen Osten und Nordafrika transformierten – oder sogar destabilisierten!
  • Der blutige Aufstieg des sogenannten „Islamischen Staates“ (IS) im Jahre 2014 erfolgte in einer Region, deren Ordnungssystem durch externe Interventionen, Bürgerkriege und Staatsversagen aus den Fugen geriet.
  • In der Folge gingen 2015 dramatische Bilder von Flüchtlingstrecks um die Welt, die in Europa Asyl suchten – und auch Deutschlands Aufnahmebereitschaft einem großen Stresstest unterzogen.
  • Und 2013 hatte die Furcht vor den Folgen der Digitalisierung ein Gesicht bekommen: Die Weltöffentlichkeit nahm großen Anteil an den umfangreichen Veröffentlichungen sensibler Dokumente durch den US-Amerikaner Edward Snowden. Fragen digitaler Spionage- und Überwachungsmaßnahmen wurden als „NSA-Skandal“ in den medialen Fokus gespült.
  • Sie sind jedoch nur ein Teilaspekt der Digitalisierung, deren disruptive Kräfte heute mehr denn je wirksam und sichtbar sind.

Fakt ist, dass auf all diese Punkte erneut reagiert werden musste:

Zum Beispiel wurden mit dem Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes von 2015, dass im Lichte der parlamentarische Aufarbeitung des NSU, dem „NSA-Skandal“ und neuen Herausforderungen durch Cyber-Angriffskampagnen stand, mehrere zentrale Ziele verfolgt:

  • die Stärkung der Zentralstelle und des Verbundes,
  • die Verbesserung des Informationsflusses,
  • die Stärkung der Analysefähigkeit,
  • Klarheit beim V-Leute-Einsatz
  • und Klarheit hinsichtlich der Daten- und Aktenpflege.

Ich nenne auch einige Konsequenzen des tiefgreifenden Reformprozesses im Bundesamt für Verfassungsschutz, der in direkter Reaktion zur Aufdeckung des NSU bereits im Jahre 2012 eingeleitet wurde:

  • eine klare Priorisierung des besonders gefährlichen, gewaltorientierten Extremismus,
  • eine intensivierte Zusammenarbeit in den Abwehrzentren und bei der Internetauswertung,
  • eine aktive Unterrichtung der parlamentarischen Gremien,
  • eine verbesserte Koordinierung des Einsatzes von V-Leuten,
  • eine engere Verzahnung von Auswertung und Beschaffung,
  • und den Ausbau der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.

Meine Damen und Herren,

mein Rekurs auf die 70-jährige Existenz des Bundesamtes ist sicherlich unvollständig – aber er macht deutlich, dass seine Geschichte nicht in Schwarz-Weiß-Kategorien gefasst werden kann. Die Geschichte des Amtes ist Anlass für

  • Stolz und Demut,
  • Anerkennung und Kritik,
  • Vertrauen und Kontrolle,
  • Beharrlichkeit und Veränderungsbereitschaft.

Der Verfassungsschutzverbund ist ein wichtiger Pfeiler der wehrhaften Demokratie – und hat 7 Jahrzehnte unterschiedlichen Gefahren getrotzt.

Allerdings zeigt sich auch, dass die jeweiligen Herausforderungen der Zeit Schwerpunktbildungen erzwingen, die den Blick verengen können:

  • Der scharfe Antikommunismus der Bonner Republik,
  • die Konfrontation mit rechtsextremen Parteien und Subkulturen in den Nachwendejahren,
  • der buchstäbliche Einschlag des islamistischen Terrorismus in die Sicherheitslage der 2000er-Jahre
  • und die rasant wachsenden Gefahrenpotentiale durch Cyberangriffskampagnen haben jeweils große Kräfte der Sicherheitsbehörden mobilisiert – aber auch jeweils fokussiert.

Es besteht immer die Gefahr, neuen Entwicklungen mehr reaktiv als proaktiv zu begegnen. Dies ist nur eine von vielen Ambivalenzen, die es täglich zu meistern gilt:

  • So steht eine häufig skandalisierende Berichterstattung über die Arbeit deutscher Nachrichtendienste einer Anerkennung ihrer Arbeit durch große Teile der Politik und Bevölkerung gegenüber.
  • Die umfangreiche gerichtliche und parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes schafft das notwendige Vertrauen, dass die Dienste benötigen und wünschen, um ihrer Arbeit – auch im Verborgenen – nachgehen zu können.
  • Und auch Verfassungsschützer haben gelernt, dass das „Frühwarnsystem der Demokratie“ die Öffentlichkeitsarbeit nicht scheuen muss – sondern aktiv praktizieren darf!

Wenn wir nun auf die aktuelle Sicherheitslage blicken, dann erkennen wir eine weitere Ambivalenz:

  • Wir sehen viele Indikatoren, die Anlass zur Sorge geben.
  • Und wir sehen aktive Sicherheitsbehörden, deren Maßnahmen erfolgreich und zielorientiert sind.

Ich möchte zunächst mit den weniger erfreulichen Tatsachen beginnen:

Das gegenwärtig auffälligste Merkmal ist der Umstand, dass es eben keine eindimensionale Bedrohungslage gibt – und damit auch keine einfache Option zur Schwerpunktsetzung!

Es ist in den vergangenen Jahren ein Mantra des Bundesamtes geworden, dass alle Arbeitsfelder „boomen“. Eine wichtige Ursache ist die Dynamisierung durch Digitalisierung, die wir grundsätzlich in allen Phänomenbereichen beobachten.

Deren Risiken sind kein Nullsummenspiel, sondern verhalten sich additiv – was unseren Personal- und Ressourcenbedarf erklärt.

Im Ergebnis sind wir immer häufiger gezwungen, dass „eine zu tun, ohne das andere zu lassen“! Wir müssen auf allen Arbeitsfeldern

  • präsent,
  • wachsam
  • und flexibel sein.

Gleichwohl bewerten wir auf Basis unserer Erkenntnisse natürlich die jeweiligen Gefahrenpotentiale: Und die größten Risiken erkennen wir derzeit im Bereich des islamistischen Terrorismus und im Rechtsextremismus.

Meine Damen und Herren,

nachweislich haben die Sicherheitsbehörden viele Erfolge gegen den islamistischen Terrorismus vorzuweisen. Seit 2017 kam es zu keinem Anschlag mehr in Deutschland. Die umfangreichen Maßnahmen der Sicherheitsbehörden wirken.

Das islamistisch-terroristische Personenpotenzial ist leicht gesunken – auf rund 2.170 Personen.

Der IS hat im vergangenen Jahr die Kontrolle über sein Territorium verloren – aber er besetzt nach wie vor die Köpfe und Herzen zahlreicher Anhänger.

Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass der IS auch wieder am Boden zu neuer Stärke findet. Er verfügt längst über Filialen

  • auf den Philippinen,
  • in Somalia
  • oder Afghanistan.

Und auch in seinem einstigen Kernland in Syrien und Irak existieren nach wie vor die Bedingungen für seinen einstigen Aufstieg – wenn nicht sogar in verschärfter Form!

  • Politische Instabilität,
  • konfessionelle Konflikte,
  • prekäre Haftbedingungen
  • und die hohe Indoktrination der Kämpfer, ihrer Frauen und Kinder sind explosive Faktoren für potentielle Gewalt.

Mit dem Tod von Abu Bakr al-Baghdadi stirbt nicht die Gefahr neuer Anschläge.

Die Bedrohungslage durch den islamistischen Terrorismus hat sich also lediglich stabilisiert.

Nach wie vor belegt die hohe Zahl von Hinweisen und Exekutivmaßnahmen, dass diese relative Stabilität nur durch einen großen Kräfteeinsatz zustande kommt.

Diese relativen Erfolge werden durch eine Lageverschärfung im Rechtsextremismus kontrastiert:

Wir warnen seit geraumer Zeit vor mehreren Faktoren:

  • Erstens, vor dem hohen Gefährdungspotential der Szene: Bei einem Personenpotential von rund 24.100 schätzen wir die Hälfte als gewaltorientiert ein.
  • Zweitens, vor ihrer Ausdifferenzierung. Sie wird unübersichtlicher.
  • Drittens, vor ihrer Entgrenzung.
  • Und, viertens, vor der zunehmenden Virtualisierung und Radikalisierung der Szene.

Konkret bedeuten Ausdifferenzierung und Entgrenzung, dass wir heute Mischszenen gegenüberstehen.

Eine „Mosaik-Rechte“ – bestehend aus

  • Rechtsextremen,
  • neurechten Hipstern,
  • selbsternannten neo-konservativen Vordenkern,
  • kruden Rechts-Esoterikern
  • oder rechtsoffenen Hooligans und Ultras – versammeln unterschiedliche Milieus am Wühltisch rechtsradikalen- bis rechtsextremistischen Gedankenguts.

Konkret bedeutet Virtualisierung, dass Messenger-Dienste, Chatgruppen, sogenannte „Imageboards“ oder Gaming-Plattformen

  • virtuelle Netzwerke erschaffen,
  • die Reichweite extremistischer Agitation erhöhen,
  • und die Emotionalisierung der Adressaten erleichtern.

Konkret bedeutet Radikalisierung,

  • dass Ideologen durch Fake News und Verschwörungstheorien im Netz die Vernunft vergiften, politische Diskurse zersetzen und eine Hasskultur erzeugen!
  • Radikalisierung bedeutet, dass durch digitalen Faschismus scheinbare Gefahren beschworen werden, die drastische Maßnahmen verlangen!
  • Radikalisierung bedeutet, dass politische Fatalisten rohe Gewalt mit Notwehr verwechseln!

Und Radikalisierung bedeutet, dass Politiker, Funktionsträger und Andersdenkende nicht nur beschimpft, sondern ermordet werden!

Es bedeutet, dass der Kasseler Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke nicht nur bedroht, sondern erschossen wurde!

Es bedeutet, dass sich in Deutschland jüdische Mitbürger in Synagogen verbarrikadieren müssen, weil auch auf sie geschossen wird – wie es jüngst in Halle geschah!

Meine Damen und Herren,

in direkter Wechselwirkung mit der Lageverschärfung im Rechtsextremismus beobachten wir seit Jahren entsprechende Reaktionen des Linksextremismus:

  • Auch hier spielt Entgrenzung eine wichtige Rolle.
  • Auch hier werden neue Medien genutzt und kontroverse Themen mit einfachen Botschaften gekapert, um Brückenköpfe im bürgerlichen Lager zu errichten.
  • Auch hier sehen wir bundesweit eine Intensivierung der Gewaltbereitschaft, ein hohes Aggressionsniveau und die Bereitschaft für Straftaten – insbesondere in Großstädten wie Berlin, Hamburg oder Leipzig.

Der schein-intellektuelle Duktus, in den sich linksextremistische Bekennerschreiben gerne kleiden, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch hier Hass und Hetze

  • gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung,
  • ihre staatlichen Repräsentanten,
  • marktwirtschaftliche Unternehmen
  • oder politische Gegner gepredigt wird.

Auch wenn wir keinerlei Entwicklungen in Richtung einer neuen RAF bestätigen können, so sind die zunehmende Militanz und planvolle Gewaltattacken gegen Menschen indiskutabel!

Ich muss auf einem Polizeikongress Polizisten nicht erklären, was linksextremistische Gewalt bedeutet:

  • Beim G20 Gipfel in Hamburg,
  • bei Ausschreitungen in Berlin und Leipzig
  • oder bei Räumungen im Hambacher Forst halten Polizisten ihre Knochen hin, wenn linkextremistische Gewaltpraxis jede linke Theorie diskreditiert!

Rechtsfreie Räume sind keine Emanzipation, sondern eine getarnte Form der Repression!

Es gibt keinen „noblen Extremismus“ – erst recht nicht, wenn er gewaltförmig ist!

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

  • die Wechselwirkung zwischen den Phänomenbereichen,
  • ihre Entgrenzung,
  • und die Virtualisierung und Radikalisierung von Hass und Hetze sind in der Tat keine guten Nachrichten.

Es gehört zur Wahrheit, dass der Extremismus Konjunktur genießt – denn der Zeitgeist spielt ihm in die Hände.

In Zeiten der Verunsicherung erscheinen

  • extreme Meinungen,
  • die extreme Mittel
  • für extreme Lösungen einsetzen, oft als sinnstiftend und plausibel!

In derart bewegten Zeiten müssen gerade Sicherheitsbehörden in Bewegung bleiben, um den Gefahren für unsere offene Gesellschaft robust und kompetent begegnen zu können.

Und dies ist die schlechte Nachricht für alle Feinde der freiheitlichen demokratischen Grundordnung:

Wir sind in Bewegung – und dies sehr erfolgreich!

Wenn Extremisten digitale Technologien nutzen, um neue Räume zu besetzen, dann folgen wir ihnen – denn unsere Demokratie muss auch im Cyberraum wehrhaft sein!

  • Wir setzen alle Maßnahmen, die mit dem Bundesminister des Inneren, für Bau und Heimat abgestimmt sind, konsequent um.
  • Wir bauen die operative Internetbeschaffung aus, um relevante Plattformen aufzuklären!
  • Die Identifizierung gewaltorientierter Täter, der Nachvollzug ihrer Kennverhältnisse und die Aufklärung von Netzwerken haben oberste Priorität!
  • Für dieses Ziel entwickeln wir unser Risikomanagement weiter, in dem wir auch im Rechtsextremismus sogenannte Personagramme nutzen. Dabei folgen wir positiven Erfahrungen aus der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus.

Ich habe auf die „Mosaik-Rechte“ hingewiesen: Diese Form der Entgrenzung verwischt einst klare Trennlinien zwischen

  • demokratischen,
  • radikalen
  • und extremistischen Positionen.

Es bedarf also mehr denn analytischer Expertise, um diese Trennlinien immer wieder nachzuzeichnen.

  • Und so intensivieren wir die Analyse der „Neuen Rechten“, indem wir wissenschaftliche und operative Erkenntnisse verzahnen.
  • Wir intensivieren die bereits enge Zusammenarbeit mit dem BND, dem BKA und internationalen Partnern.
  • Wir richten in Abstimmung mit dem BAMAD und den Landesämtern für Verfassungsschutz eine Zentralstelle ein, um rechtsextremistische Umtriebe im öffentlichen Dienst zu untersuchen.
  • Wir haben mit der Einrichtung eines Hinweistelefons „Rechtsextremismus/-terrorismus, Reichsbürger und Selbstverwalter“ bereits wertige Hinweise generieren können.

Und Wir unterstützen Ordnungsbehörden bei Verbotsmaßnahmen und verstärken die Prüfung von Vereinsverboten – denn wir wollen Aktions- und Handlungsräume rechtsextremistischer Gruppen bestmöglich einschränken.

Dies belegt eindrucksvoll das Verbot des rechtsextremistischen Vereins „Combat 18 Deutschland“ durch den Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat vor zwei Wochen.

„Combat 18 Deutschland“ ist eine

  • neonazistische,
  • rassistische
  • und fremdenfeindliche Vereinigung, die in ihrer Zweckrichtung eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus aufweist.

Der Verein genießt innerhalb der Szene ein hohes Ansehen und wird als Symbol des gewaltbereiten Rechtsextremismus verehrt. Seine menschenverachtende Gesinnung, seine Zwecke und Tätigkeiten – wie etwa die Produktion und den Vertrieb von rechtsextremistischer Musik – liefen den Strafgesetzen zuwider und richteten sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung.

Das Bundesamt hatte das Verbot durch eine längerfristige zielgerichtete Erkenntnissammlung maßgeblich unterstützt.

Neben vielen Vereinsverboten im Phänomenbereich des Islamismus zeigte auch das Verbot des Portals Linksunten.Indymedia von 2017, dass Plattformen gewaltbereiter Linksextremisten nicht toleriert werden.

Der liberale Rechtsstaat macht es sich nicht leicht, repressive Maßnahmen zu ergreifen.

Aber er wird nicht leichtfertig die Sicherheit seiner Bürger und Repräsentanten opfern.

Denn ein Rechtsstaat, der seine Bürger nicht schützen kann oder will, ist keiner mehr.

Meine Damen und Herren,

der Blick auf die vergangenen 70 Jahre zeigt:

Unsere offene Gesellschaft ist verwundbar – aber nicht hilflos. Sie ist bisher in der Lage gewesen, rechtliche Grundlagen immer wieder als Reaktion auf aktuelle Geschehnisse anzupassen.

Die Freiheit der offenen Gesellschaft verlangt nach diesem Mut, sich immer wieder diesen Anpassungsleistungen auszusetzen, damit das Schwert in der Hand der „Justitia“ scharf bleibt!

Gut vernetzte und leistungsstarke Sicherheitsbehörden sind kein Selbstzweck. Sie verfolgen einen wichtigen gesetzlichen Auftrag, damit unsere wehrhafte Demokratie möglichst aktiv eine Umwelt gestalten kann, die wir uns nicht aussuchen können.

Aber die Freiheit der offenen Gesellschaft verlangt auch nach dem Mut, den Rechtsstaat zu erhalten, indem man seine Grenzen respektiert.

Wir dürfen gerade nicht den gewalttätigen Extremisten auf den Leim gehen:

Ihre Gewalt ist aus der Not geboren, dass ihre Botschaft nicht mehrheitsfähig ist!

Ihre Gewalt ist der Versuch, der „Justita“ ihre Augenbinde zu entreißen – und damit die Würde der Un-Parteilichkeit und Un-Bestechlichkeit des Rechtsstaates zu beenden!

Vor 70 Jahren hat der Verfassungsschutz bewusst auf ein eigenes scharfes Schwert verzichtet.

Aber im gesetzlichen Auftrag der „Justitia“ haben wir keine Augenbinde auf, sondern den Blick fest auf die Feinde von Rechtsstaat und Demokratie gerichtet – gestern, heute und auch morgen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.