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Statement von BfV-Präsident Thomas Haldenwang anlässlich der vierten Anhörung durch das Parlamentarische Kontrollgremium im Deutschen Bundestag

Datum 29.06.2020

Es gilt das gesprochene Wort

Wie in den Vorjahren begrüße ich die Öffentliche Anhörung, um Schlaglichter der Sicherheitslage vorstellen zu können.

Ich werde

  • Faktoren und Tendenzen benennen, die aktuell die Lageentwicklung negativ beeinflussen
  • und unsere Gegenmaßnahmen darlegen.

Zunächst kann ich bilanzieren, dass maßgebliche Faktoren der letzten Jahre nach wie vor wirken.

So beobachten wir weiterhin einen hohen Grad

  • an Digitalisierung und Technisierung - sei es bei verschlüsselter Kommunikation oder im Rahmen der Spionage- und Sabotageabwehr,
  • einen hohen Grad an Fragmentierung – sei es innerhalb der rechtsextremistischen oder salafistischen Szene,
  • einen hohen Grad an Internationalisierung und Vernetzung - sei es im Islamismus, Links-, oder Rechtsextremismus,
  • einen hohen Grad an Diffamierung – sei es online oder offline
  • und einen hohen Grad an Irrationalismus – wenn etwa in den Tiefen des Internets individuelle „Puzzle-Ideologien“ entstehen, die sich nach dem Prinzip „Like“ und „Link“ zusammensetzen.

Es gilt also weiterhin:
Wirkmächtige Themen, Technik und Trends verstärken sich gegenseitig – und halten den Extremismus auf Wachstumskurs. Und nach wie vor gilt unsere Warnung vor einer steigenden Gewaltorientierung!

Zu den einzelnen Phänomenbereichen:

Derzeit werten wir den Rechtsextremismus und -terrorismus als größte Bedrohung für die Sicherheit in Deutschland.

  • Eine hohe Gewaltbereitschaft,
  • regelmäßige Waffenfunde,

  • und Tötungsdelikte sind die Belege für unsere hohe Gefährdungsbewertung.

Nach den Anschlägen 2019 erschoss im Februar ein Rechtsextremist in Hanau weitere 10 unschuldige Menschen. Deshalb behalten unsere Prognosen ihre Gültigkeit:

  • Die Lageverschärfung im Rechtsextremismus führt zu schwersten Gewalttaten, mit denen auch weiterhin zu rechnen ist.
  • Es entwickeln sich mehrheitlich rechtsterroristische Ansätze am Rand oder außerhalb der Szene.
  • Und die Virtualisierung, Radikalisierung und Entgrenzung bleiben die prägenden Merkmale rechtsextremistischer Aktivitätsmuster.

Wir sprechen aktuell von einem Personenpotential, das im vergangenen Jahr um 33 % auf rund 32.000 Personen gestiegen ist. Neben dem Anstieg der gewaltorientierten Personen auf 13.000 beobachten wir auch einen auffälligen Anstieg antisemitisch motivierter Straf- und Gewalttaten von Rechtsextremisten um jeweils etwa 17 Prozent.

Dagegen setzen sich der Mitgliederschwund rechtsextremistischer Parteien und ihr Niedergang an den Wahlurnen fort. Sie können jedoch als logistische Plattformen weiter Einfluss nehmen – etwa als Veranstalter von

  • öffentlichen Kundgebungen oder
  • Musik- und Kampfsportveranstaltungen.

Diese Formate

  • enthalten weiter Zugkraft
  • erfüllen eine Rekrutierungs- und Bindungsfunktion
  • und erleichtern die nationale und internationale Vernetzung.

Anlässlich öffentlicher Kontroversen – wie etwa um die Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie – sehen wir einen bekannten Mechanismus, den wir auch von Akteuren der Neuen Rechten kennen:

  • Konfliktpotenziale werden identifiziert,
  • anti-demokratische Positionen ent-tabuisiert
  • und die Entgrenzung extremistischen Denkens praktiziert.

Zum Linksextremismus:
Geistige Brandstifter, die sich als rettende Feuerwehr für vermeintlich unterdrückte Werte und Gruppen inszenieren, de facto aber das Löschfahrzeug mit Brennstoff beladen, agieren und agitieren ebenso im Linksextremismus!

Dort verzeichnen wir einen Anstieg des Personenpotentials um 4,7 Prozent auf 33.500. Davon werten wir 9.200 als gewaltorientiert.

Der schein-intellektuelle Duktus, in den sich linksextremistische Theoretiker gerne kleiden, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch hier Hass und Hetze gegen Menschen gepredigt werden. Sie - nennen es

  • Antirepression,
  • Antigentrifizierung,
  • oder Antifaschismus.

Wir – erkennen

  • eine deutliche Steigerung der Militanz,
  • der Aggression
  • sowie eine neue Qualität personenbezogener Gewalt.

Nicht nur die Taten, sondern auch die Zahlen sind besorgniserregend:

  • Linksextremistisch motivierte Straftaten haben im Jahr 2019 um fast 40 Prozent zugenommen!
  • Darunter waren auch 921 Gewaltdelikte und 2 versuchte Tötungsdelikte.
  • Die Zahl der Sachbeschädigungen stieg um über 58 Prozent,
  • die der Brandstiftungen erhöhte sich um fast 52 Prozent.

Um es klar in jede Richtung auszusprechen:
Zahlreiche verletzte Personen und ein geschätzter Sachschaden in dreistelliger Millionenhöhe sind eine beschämende Bilanz! Es gibt keinen „noblen Extremismus“ – erst recht nicht, wenn er gewaltförmig ist! Und wir werden identifizierten Extremismus immer als das benennen, was er ist:

  • Aggressive Anmaßung,
  • Anti-Pluralismus
  • und ein Angriff auf unsere freiheitliche demokratische Grundordnung!

In diesem Zusammenhang möchte ich auf einen konkreten Sachverhalt hier kurz eingehen:
Wie Sie wissen, beobachtet der Verfassungsschutz auch extremistische Strukturen innerhalb der Partei DIE LINKE – ich nenne hier die „Antikapitalistische Linke“, die „Kommunistische Plattform“ und die „Sozialistische Linke“. Diese Organisationen richten sich nicht nur gegen die bestehende Wirtschaftsordnung, sondern sie streben eine mit dem Grundgesetz unvereinbare Staats- und Gesellschaftsform an. Einzelne Grundrechte werden komplett in Frage gestellt.
Vor diesem Hintergrund finde ich es als Verfassungsschützer unerträglich, wenn ein prominentes Mitglied der erwiesen linksextremistischen Organisation „Antikapitalistische Linke“ (AKL) Mitglied eines Verfassungsgerichtshofes wird.

Ich folge dem roten Faden enthemmter Gewalt – und stelle fest:
Auch im Arbeitsfeld der Spionageabwehr begegnen wir einer alarmierenden Brutalisierung, die offensichtlich auch vor Mord und Totschlag nicht zurückschreckt!

  • So erhob der Generalbundesanwalt unlängst Anklage gegen einen russischen Staatsangehörigen wegen Mordes an einem Georgier in der Berliner Parkanlage Kleiner Tiergarten im August letzten Jahres.
  • Der Generalbundesanwalt fand klare Worte, insofern ihm zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Tötung im Auftrag staatlicher Stellen der Russischen Föderation erfolgt ist.

Dieser Fall reiht sich ein in eine Serie von vereitelten Anschlägen und bekannt gewordenen Tötungen auf europäischem Boden mit mutmaßlicher Steuerung durch ausländische Dienste – und unterstreicht die Relevanz von möglichem Staatsterrorismus!

Aber ich habe an dieser Stelle und zu diesem Anlass bereits zweimal ausgeführt, dass wir nicht nur reagieren, sondern dieser Bedrohungslagen in allen Phänomenbereichen aktiv und dynamisch entgegentreten.

Unsere Spionageabwehr hat seit der letzten Öffentlichen Anhörung 6 Exekutivmaßnahmen des Generalbundesanwalts angeregt, vorbereitet, unterstützt oder begleitet.

Wir leuchten die Neue Rechte, die sich gezielt in einer Grauzone aufhält, wie angekündigt aus – und holen dort den Extremismus ans Licht, wo seine Camouflage einer konsequenten Prüfung nicht standhält!

Im Ergebnis werden inzwischen die

  • „Junge Alternative“,
  • die „Compact-Magazin GmbH“,
  • das „Institut für Staatspolitik“
  • und - seit letzter Woche – auch der Verein „Ein Prozent“ als Verdachtsfälle bearbeitet!

Sowohl die ideologische Ausrichtung des Vereins „Ein Prozent“ als auch seine Vernetzungsaktivitäten zum rechtsextremistischen Spektrum begründen unsere konsequente Einstufung als Verdachtsfall.

  • Daneben haben wir die AfD-Teilorganisation „Flügel“ als gesicherte extremistische Bestrebung benannt.
  • Und wir werden weiterhin sehr genau beobachten, welchen Einfluss Personen der formal aufgelösten AfD-Teilorganisation „Flügel“ auf die Gesamtpartei ausüben!
  • Wir arbeiten intensiv an einer Erhebung zum Rechtsextremismus im öffentlichen Dienst.
  • Wir waren beteiligt am Verbot von „Combat 18 Deutschland“ und der Selbstauflösung von „Reconquista Germanica“.

Im März hat der Bundesinnenminister die Reichsbürger-Vereinigung „Geeinte deutsche Völker und Stämme“ verboten. Und vor einer Woche folgte das Verbot der rechtsextremistischen und antisemitischen Vereinigung „Nordadler", an dessen Vorbereitung das Bundesamt für Verfassungsschutz maßgeblich beteiligt war.

Zudem haben wir in den vergangenen Monaten im Verfassungsschutzverbund gezielt wertige Informationen über die „Hizb Allah“ zusammengetragen. Sie bildeten die Grundlage für das im April vom Bundesinnenminister ausgesprochene Betätigungsverbot – und damit für einen weiteren Schlag gegen den islamistischen Terrorismus! Der Kampf an dieser Front ist nur geräuschloser geworden, weil es uns hinter den Kulissen gelingt, mit enormer Energie und Expertise bereits im frühen Stadium zuzuschlagen:

  • Seit August 2017 ist es in Deutschland nicht mehr zu einem islamistisch-terroristischen Anschlag gekommen!
  • Viele vereitelte Anschlags-Planungen und Exekutivmaßnahmen der Sicherheitsbehörden zeichnen dafür verantwortlich.

Das ist meine heutige Botschaft – und mein Dank an alle beteiligten Kräfte:

Ihre Unterstützung und unsere Maßnahmen greifen! Und sie erzielen deutliche Wirkungstreffer!

70 Jahre nach Gründung des Bundesamtes für Verfassungsschutz braucht es einen 360-Grad-Blick, um den vielen Gefahren für die freiheitlich demokratische Grundordnung entschlossen begegnen zu können – nicht nur in der Cyberabwehr, sondern auch im Kampf gegen Extremismus und Terrorismus.

Vorbeugend sage ich: Wir dürfen auch weiterhin nicht den Rotstift bei der Sicherheit ansetzen, um auch weiterhin die roten Linien der wehrhaften Demokratie ziehen zu können! Denn gemeinsam verteidigen wir nicht eine abstrakte, blutleere Regierungsform – sondern am Ende

  • Leib und Leben,
  • Freiheit und Würde der Menschen dieser Republik!

Dies sollte uns alle rechtsstaatlichen Mittel wert sein.