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Rede von BfV-Präsident Thomas Haldenwang auf der BKA Herbsttagung „Ausgrenzung, Hass und Gewalt – Herausforderungen für den Rechtsstaat und die Sicherheitsbehörden“ in Wiesbaden

Thema: „Früherkennungs- und Analysefähigkeiten weiterentwickeln“

Datum 28.11.2019

Sehr geehrter Herr Präsident Holger Münch,
sehr geehrte Behördenleiterinnen und Behördenleiter,
sehr geehrte Angehörige der Polizeien des Bundes und der Länder
meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich danke Ihnen nicht nur für die Einladung nach Wiesbaden, sondern auch zur Auswahl des Themas Ihrer diesjährigen Tagung – und zwar aus zwei Gründen:

Erstens, ist es ein trauriger Fakt, dass Ausgrenzung, Hass und Gewalt Herausforderungen für den Rechtsstaat und die Sicherheitsbehörden sind.

  • Das Attentat auf den Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke,
  • der Anschlag auf eine Synagoge in Halle
  • oder die permanente Gefahr durch islamistische Anschläge

sind die inakzeptablen Ergebnisse, wenn Ausgrenzung und Hass tödliche Gewalt auslösen.

Und, zweitens, verweist die BKA-Herbsttagung indirekt auf diverse Veranstaltungen im Frühjahr, als wir im Mai den 70. Geburtstag unseres Grundgesetzes gefeiert haben – und damit 70 Jahre

  • Frieden,
  • Freiheit
  • und Rechtsstaatlichkeit.

Der Glücksfall unseres Grundgesetzes war keineswegs ein glücklicher Zufall – sondern Folge eines Sündenfalls durch nationalsozialistische Tyrannei – und damit gerade eine direkte Reaktion auf Ausgrenzung, Hass und Gewalt!

Denn 2019 gedenken wir nicht nur dem Grundgesetz, sondern auch dem 100jährigen Jubiläum der Weimarer Reichsverfassung! Eine Verfassung, die durch politischen Radikalismus und Extremismus attackiert wurde – und dies nicht überlebte.

Unsere Geschichte bezeugt, dass Demokratien scheitern können, wenn sie durch ihre Gegner von innen heraus zerstört werden.

Ich zitiere einen Nationalsozialisten, der bereits 1928 unverhohlen bekundete – Zitat:

„Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen. […] Wenn die Demokratie so dumm ist, uns für diesen Bärendienst Freifahrtkarten und Diäten zu geben, so ist das ihre eigene Sache. […] Wir kommen nicht als Freunde, auch nicht als Neutrale. Wir kommen als Feinde! Wie der Wolf in die Schafherde einbricht, so kommen wir!“
Zitat Ende.

Wie Sie wissen, setzte sich 1933 tatsächlich eine rechtsextremistische Partei durch; sie zerstörte nicht nur die Republik, sondern Millionen Menschenleben!

Aus diesem Grund konzipierten die Mütter und Väter des Grundgesetzes eine liberale Demokratie, die

  • die Würde des Menschen vor dem Zugriff von Ideologien und Heilslehren schützt,
  • die ihre Legitimation aus den Verfahren des Rechtsstaates bezieht,
  • die wehrhaft ist
  • und auch die Möglichkeit der Kontrolle von Parteien vorsieht!

Oder, in den Worten des Juristen und prägenden Autors der Verfassung, Carlo Schmid – Zitat:

„Notfalls müsse man den Mut zur Intoleranz denen gegenüber aufbringen, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie umzubringen.“
Zitat Ende.

Die segensreiche Tatsache, dass sich unsere wehrhafte Demokratie seit 70 Jahren erfolgreich gegen innere und äußere Feinde behauptet, darf uns jedoch nicht in falscher Sicherheit wiegen!

Es soll uns vielmehr eine Mahnung für die Gegenwart und Aufgabe für die Zukunft sein!

Aber um den Mut zur Intoleranz gegenüber den Feinden unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung aufbringen zu können, muss man diese Feinde erst kennen!

Man muss sie

  • identifizieren,
  • analysieren
  • und demaskieren – und dies ist eine explizite Aufgabe des Verfassungsschutzes!

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

2019 sehen wir freilich keine Machtergreifung durch eine rechtsextremistische Partei. Im Gegenteil: Die Mitgliederzahlen rechtsextremistischer Parteien nehmen deutlich ab.

Aber wir sehen, wie in Teilen der Gesellschaft Hass und Gewalt machtvoll um sich greifen!

Wenn in Deutschland Politiker ermordet und Bomben vor Synagogen gezündet werden, dann ist offensichtlich, dass eine unheilvolle Saat aufgeht. Bevor es zu realer Gewalt kommt, düngt sprachliche Gewalt den Boden für Hass, Radikalismus und Extremismus.

  • Die geäußerte Verachtung demokratischer Institutionen und Amtsträger,
  • die Herabsetzung und Diffamierung Andersdenkender,
  • die Verhöhnung der Opfer von Gewalttaten,
  • nackter Hass, Antisemitismus und krude Verschwörungstheorien
  • im Internet,
  • auf Marktplätzen
  • oder in Parlamenten

sind die Symptome einer steigenden Fieberkurve, die uns Sorgen bereiten muss.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz warnt seit Jahren vor den sichtbaren Folgen. Der Extremismus ist auf Wachstumskurs – was sich bekanntlich in steigenden Personenpotenzialen und der Intensität extremistischer Betätigungen manifestiert.

Ich möchte jedoch heute keine Zahlen referieren, sondern mit Blick auf die Ursachen abstrakt feststellen:

  • gibt es offensichtlich einen fruchtbaren Nährboden für Extremismus.
  • stehen effektive Mittel und Hebel zur Verfügung, die
  • extremistische Akteure nutzen, um ehemals trennscharfe Brandmauern zur Mitte der Gesellschaft zu schleifen.

Zum ersten Punkt – dem Nährboden extremistischen Gedankengutes – lassen sich gesellschaftspolitische Großtrends, benennen: Diese tangieren auffällig oft Themen der Sicherheit – und dominieren deshalb die öffentliche Berichterstattung und die Gemüter der Bürger:

  • So ist die Welt reich an Krisen, Kriegen und Konflikten.
  • Alte sicherheitspolitische Gewohnheiten, alte Bündnisse und alte Gewissheiten verlieren an Kraft.
  • Neue Technologien, neue Digitalkonzerne und neue Verteilungskämpfe lassen die Zukunft weniger berechenbar erscheinen.

All dies führt naturgemäß zu Verunsicherung.

Und so überrascht es nicht, dass die steigende Komplexität einer globalisierten Welt auch dem Extremismus Vorschub leistet.
Sein Geschäftsmodell ist es, Konflikte zu verschärfen und Komplexität durch Freund-Feind-Denken zu reduzieren.

Für den Extremisten ist

  • die Politik ein Kampf,
  • der Ausgleich von Interessen ein Verrat
  • und die freiheitlich demokratische Grundordnung ein Hindernis auf dem Weg zu einem ideologischen Utopia.

Sei es zum Beispiel

  • im Gottesstaat islamistischer Jihadisten,
  • im autoritären Führerstaat einer imaginierten homogenen Volksgemeinschaft
  • oder in einer klassenlosen sozialistischen Gesellschaft.

In Zeiten verstärkter Verunsicherung erscheinen

  • extreme Meinungen,
  • die extreme Mittel
  • für extreme Lösungen einsetzen, oft als sinnstiftend und plausibel!

Die Folgen sind

  • die Polarisierung der politischen Kultur in feindselige Lager;
  • der anwachsende Vertrauensverlust gegenüber Leitmedien und öffentlichen Funktionsträgern
  • und damit einhergehend eine allgemeine Verrohung des politischen Klimas.

Gerade aktive Politiker wissen, dass aktuell eine steigende Politisierung der Gesellschaft nicht automatisch mit einer steigenden Demokratisierung, sondern mit einer steigenden Emotionalisierung einhergeht.

Immer häufiger werden Politiker und Bürgermeister, aber auch Anwälte, Unternehmer, Journalisten sowie Bürger mit jüdischem- oder Migrationshintergrund Opfer von verbalen und körperlichen Attacken.

Die Veränderung unserer politischen Kultur und Parteilandschaft unterliegt nicht der Beobachtung des Bundesverfassungsschutzes!
Aber Polarisierung und Emotionalisierung entlang politischer, ethnischer oder religiöser Konfliktlinien bieten dem Extremismus einen fruchtbaren Boden.

Meine Damen und Herren,

Polarisierung und Emotionalisierung sind Faktoren, die uns nahtlos zum zweiten Punkt führen: den neuen digitalen Kommunikationsmitteln, die auch dem Extremismus eine große Hebelwirkung verschaffen – und im schlimmsten Fall zu Terroranschlägen führen.

Messenger-Dienste, Chatgruppen, sogenannte „Imageboards“ oder Gaming-Plattformen

  • erschaffen virtuelle Anlaufstellen und virtuelle Netzwerke,
  • erhöhen die Reichweite extremistischer Agitation,
  • erschließen neue internationale Kontakte,
  • und erleichtern die Emotionalisierung und Radikalisierung der Adressaten.

In den berüchtigten Echokammern verlinken Algorithmen die Nutzer-Präferenzen zu einem Spiegelkabinett der eigenen Vorurteile!

Es werden widerspruchsfreie Parallelwelten geschaffen – und damit auch die latente Gefahr des unwidersprochenen Aufrufs zur Gewalt.

Ich zitiere dazu den Medienwissenschaftler Norbert Bolz – Zitat:

„Die Informationskaskaden der sozialen Netzwerke reduzieren für den Einzelnen die Kosten der Informationsverarbeitung und des Entscheidens. Heute ist nicht mehr die Information knapp, sondern die Orientierung. […] Man radikalisiert sich in Eigenwelten hinein. […] Fanatiker brauchen heute nicht mehr als eine führende Idee, eine Kommunikationsplattform und das Bedürfnis der Zugehörigkeit. […] Während die Verrückten früher isoliert waren, hat heute jeder Wahn seine Webseite. […] Eine solche virtuelle Gemeinschaft ist nicht lokal beschränkt, sondern organisiert sich weltweit nach Vorurteilen und Vorlieben. Was allein zählt, ist Gleichgesinntheit.“
Zitat Ende.

Ich möchte an dieser Stelle auf einen weiteren – durchaus wichtigen – Aspekt hinweisen:

  • Es ist eben nicht allein die Echokammer, die Radikalisierungsprozesse befeuern kann,
  • sondern auch die gestiegene Sichtbarkeit des Hassobjektes!

Während man früher am Stimmtisch oder vor dem Fernsehapparat über Politik, Parteien und Personen schimpfte, sind die Objekte der negativen Begierde durch Webseiten, Twitter oder Facebook viel distanzloser erfahrbar – und viel leichter zu attackieren!

Es ist also eine Ambivalenz, die Hass, Hetze, Ausgrenzung und Gewalt triggert:

  • Der Rückzug aus dem demokratischen Diskurs in geschlossene, antipluralistische Parallelwelten
  • und daneben die verschärfte Wahrnehmung des vermeintlichen Feindes – mit dem man nicht konstruktiv diskutiert, sondern gegen den man destruktiv agitiert!

Die Digitalisierung hat den Extremismus keineswegs erschaffen – aber wir registrieren in allen Phänomenbereichen eine Dynamisierung durch Digitalisierung!

Meine Damen und Herren,

die Digitalisierung begegnet uns erneut bei einem Phänomen, dass wir Entgrenzung nennen – und vor dem wir seit Jahren eindringlich warnen. Nahezu alle Arbeitsfelder des Bundesverfassungsschutzes weisen Entgrenzungstendenzen auf:

  • Im Bereich der Spionage- und Sabotageabwehr ereignet sich eine Entgrenzung des Raumes, insofern jede geographische Entfernung implodiert.

Sensible Daten und Infrastrukturen geraten in gefährliche Nähe zu

  • Wettbewerbern,
  • skrupellosen Kriminellen
  • oder ausländischen Geheimdiensten.
  • Heute werden zudem einst exklusive Fähigkeiten entgrenzt. Jeder Smartphone-Benutzer kann Kommunikation zum Nulltarif nutzen und verschlüsseln.
  • Die entgrenzte Verfügbarkeit von Informationen und deren Konsumenten erleichtern
  • Desinformation,
  • Manipulation
  • und Einflussnahme.
  • Im Bereich des Extremismus sehen wir die Entgrenzung der Aktionsräume: Social-Media-Plattformen, WhatsApp und Telegramm ermöglichen ein Agenda-Setting weit über die eigene Kernklientel hinaus.
  • Und im Bereich des islamistischen Terrorismus hat der sogenannte Islamische Staat (IS) bereits vor Jahren den Do-it-yourself-Terrorismus zum Schwerpunkt einer entgrenzten Strategie gewählt: Aus einem weltweiten Publikum rekrutiert er Gefolgsleute, um aus Amateuren Attentäter zu machen.

Extremisten entgrenzen zunehmend ihre Aktionsräume, indem sie auf viele neuralgische Punkte einwirken, um in die Mitte der Gesellschaft einzusickern.

Das trojanische Pferd ist eine simple Kausalkette:
Durch ein reales oder imaginiertes Problem werden extreme Ängste geschürt und extreme Lösungen gefordert. Der Schritt zur Legitimation von Gewalt ist dann nur noch ein kleiner Schritt. Und jeder Widerspruch kann zum Hochverrat am Volk etikettiert werden – oder einem sogenannten System der Repression und Ausbeutung angelastet werden.

Die gewählten Hebel sind daher oftmals – wenig überraschend –Themen wie

  • Migration,
  • Klimawandel,
  • Mietpreise
  • oder der Kampf gegen vermeintlich illegitime, korrupte Eliten.

Im Sound von Extremisten klingen die Überschriften zweifellos schriller:

  • Überfremdung und Umvolkung,
  • Kampf gegen Repression und Unterdrückung
  • oder Widerstand gegen die Lügenpresse und Volksverräter.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat der „Mobilisierungsfähigkeit im politischen Extremismus“ im Mai ein ganzes Symposium gewidmet.

Ich möchte nur das Ergebnis festhalten: Mobilisierung und Entgrenzung gelingt, wenn

  • an gesellschaftlichen Bruchlinien Emotionen geschürt,
  • Brückenköpfe im bürgerlichen Lager etabliert,
  • Desinformation und Zwietracht platziert
  • sowie die Legitimation und Handlungskompetenz des Staates negiert werden.

Bei diesen Faktoren schlagen wir Alarm.
Denn ein dogmatischer Extremismus – der blutleer auf der reinen Lehre verharrt – ist sicher nicht erfreulich, aber noch keine bedrohliche Bestrebung gegen unsere freiheitlich demokratische Grundordnung!

Aber wenn der Extremismus

  • dynamisch wird,
  • seine klar definierte Ecke verlässt
  • und auf die Mehrheitsgesellschaft ausgreift,

dann nennen wir das Problem beim Namen!

Meine Damen und Herren,

das Phänomen der Entgrenzung lässt sich anschaulich am Beispiel des Rechtsextremismus beobachten – denn hier hat es wesentlich zu einer Lageverschärfung beigetragen.

Hier sehen wir exakt das geschilderte Problem, dass es die sprichwörtliche „rechte Ecke“, mit der sich trennscharf Extremisten vom bürgerlichen Lager unterscheiden lassen, nicht mehr gibt.

Hier beobachten wir, dass der Abstieg rechtsextremistischer Parteien an den Wahlurnen flankiert wird vom Aufstieg neuer Aktions- und Organisationsformen.

  • So verändert sich die Szene dynamisch und nachhaltig.
  • Neue Netzwerke entstehen – sowohl im Scheinwerferlicht von szenetypischen Musik- und Kampfsportveranstaltungen als auch im Dunkel verschlüsselter Medienplattformen.
  • In Demokratie- und Fremdenfeindlichkeit, im Antisemitismus und Rassismus finden Rechtsextremisten aus Europa und aller Welt Anknüpfungspunkte für gemeinschaftliches Handeln.
  • Neben diesem internationalen Schulterschluss verschwinden jedoch nicht nur Ländergrenzen, sondern auch Milieugrenzen, da situative Zusammenschlüsse mit Hooligans, Ultras, oder bürgerlichen Demonstrationsteilnehmern entstehen.

Und so haben wir es immer öfter mit rechtsoffenen Mischszenen zu tun – wie etwa bei den Protesten in Chemnitz 2018. Dort hatte sich ein solcher Brückenschlag realisiert, als Rechtsextremisten eine schwere Straftat mit tödlichem Ausgang instrumentalisierten und das Protestgeschehen dominierten.

Parallel zu solchen Trigger-Ereignissen, die starke Emotionalisierung begünstigen, arbeiten Protagonisten der sogenannten „Neuen Rechten“ im politischen Vorfeld, um rechtsradikales bis rechtsextremes Gedankengut salonfähig zu machen.

Es werden

  • Standbeine im publizistischen Milieu etabliert,
  • aktionistische Protestformen praktiziert
  • und mediale Resonanz provoziert.

Es werden 180-Grad-Pirouetten gedreht – damit der erinnerungspolitische Konsens Gedächtnis und Orientierung verliert!

Es werden die Grenzen des Sagbaren ausgetestet, indem man das Unsagbare ausspricht – und damit die Grauzone zwischen „richtig“ und „falsch“ erweitert!

Es wird einer Enthemmung der Sprache gefrönt – bis es keine Hemmungen mehr gibt!

Es werden Tabuzonen und Brandmauern abgebaut – bis der normative Konsens neu codiert ist – und die Provokation von gestern die Normalität von heute ist!

Auf diese Weise verblassen plumpe, geschlossen-rechtsextreme Weltbilder hinter anlassbezogenen Kampagnen und „hippen“ Aktionen – jedoch ohne aus der Welt zu verschwinden.

Die „Neue Rechte“ ist in sich selbst heterogen. Während wir Teile des Spektrums im Rahmen eines Prüffalls oder als Beobachtungsobjekt bearbeiten, sind andere Akteure nicht – oder nicht eindeutig – rechtsextremistisch.

Während früher Heterogenität im linken oder rechten Spektrum eher ein Minusgeschäft war – denn Spaltung bedeutet in der Regel Schwäche – so ist in der vernetzten Gesellschaft eine Mosaik-Rechte ein Pluspunkt, denn unterschiedliche Adressaten können passgenau bespielt werden – sei es

  • durch die schriftstellerische Feder,
  • durch Akteure in Parlamenten, Landtagen und Parteien,
  • durch subkulturelle Szene-Happenings
  • oder durch soziale Medien und virale Aktionsformen.

Ideologieelemente und Bezugspunkte mögen dabei variieren, doch die Schwerpunkte liegen auf

  • Antiliberalismus,
  • Antipluralismus,
  • und dem Ethnopluralismus.

So vertritt die Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) mit ihren aktuell etwa 600 Mitgliedern ethnopluralistische Positionen, die sie gezielt an junge Menschen adressiert. Ihre Theorie mag jeglichen Anschein von Rassismus vermeiden, ist aber in letzter Konsequenz mit einer ethnisch pluralistischen Gesellschaft unvereinbar.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

halten wir also fest:

  • Virtualisierung,
  • Radikalisierung
  • und Entgrenzung sind die Stichworte, mit denen sich viele dynamische Trends im Extremismus erklären lassen.

Dies spiegelt sich auch in vielen Aspekten der Terrorismusabwehr wider.

Im Bereich des islamistischen Terrorismus ist die online-Radikalisierung von Personen – die inspiriert oder gar online angeleitet werden – ein vertrautes Muster.

So sind Anschläge allein handelnder Täter die bevorzugte Wahl des islamistischen Terrorismus. Mit diesem Anschlagstyp wurde auch Deutschland in den Jahren 2016 und 2017 hart getroffen. 7 Anschläge forderten insgesamt 13 Tote und über 80 Verletzte.

Die Täter waren häufig durch den Konsum gewaltorientierter Propaganda radikalisiert und teilweise durch die Kommunikation mit Angehörigen von Terrororganisationen im Ausland inspiriert und angeleitet.

Dass es in den Jahren 2018 und 2019 bislang zu keinem islamistisch motivierten Terroranschlag in Deutschland kam, verdankt sich auch der erfolgreichen Aufklärungsarbeit der Sicherheitsbehörden. Wir sind gut aufgestellt, wachsam und erfolgreich.

Ich nenne anlässlich der heutigen BKA-Tagung nur ein Beispiel unserer gemeinsamen Erfolge: Zu Beginn des Jahres wurden drei irakische Terrorverdächtige in Schleswig-Holstein durch Spezialkräfte des BKA und der Bundespolizei verhaftet. Zwei von ihnen sollen sich dazu entschlossen haben, in Deutschland einen islamistisch motivierten Anschlag zu verüben. Ausgangspunkt der Ermittlungen war ein Hinweis des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

Diese und viele weitere Erfolgsmeldungen stehen buchstäblich für die Rettung von Leben. Aber sie sind auch traurige Belege dafür, dass 18 Jahre nach den Anschlägen auf das World Trade Center der Kampf gegen den islamistischen Terrorismus noch immer mit hoher Intensität geführt werden muss. Wer an diesem schicksalhaften 11. September 2001 geboren wurde, ist heute volljährig – und musste mit dieser Tatsache aufwachsen.

Nach wie vor betrachten jihadistische Gruppierungen Deutschland als Feind – und damit als legitimes Ziel von Terroranschlägen.

Mit dem militärischen Kollaps des IS hat er bedeutende Fähigkeiten und Ressourcen eingebüßt. Auch seine Propagandaprodukte sind qualitativ und quantitativ spürbar eingebrochen. In diesem Sinne ist er nur noch ein Schatten einstiger Größe.

Doch genau in diesem Schatten kehrt er zu seinen dunklen Ursprüngen zurück: als terroristische Untergrundorganisation, die in zahlreichen Ländern operiert und weiterhin gefährlich bleiben wird.

  • Viele seiner Kämpfer sind tot, gefangen oder abgetaucht – aber die Ideologie ist weiterhin sehr lebendig.
  • Das virtuelle Kalifat ist als Propagandawaffe weiterhin global effektiv.
  • Und natürlich haben wir die Sorge, dass durch die instabile Lage in Nordsyrien IS-Kämpfer unbemerkt nach Europa gelangen können!

Die Sorge gilt aber nicht nur IS-Rückkehrern, sondern auch der Rückkehr des IS in die Herzen und Köpfe seiner Sympathisanten! Denn es ist keineswegs ausgeschlossen, dass der IS auch wieder am Boden zu neuer Stärke findet.

Die Botschaft ist eindeutig:

Die Bedrohungslage durch den islamistischen Terrorismus hat sich also lediglich stabilisiert – und zwar auf hohem Niveau.

Jeder Erfolg im Phänomenbereich Islamismus ist das Produkt harter Arbeit. Die Arbeit darf nicht reduziert, sondern muss fortgesetzt werden!

Meine Damen und Herren,

der Anschlag in Halle ist bekanntlich nur der jüngste Beleg für die großen Risiken aus dem Bereich des gewaltorientierten Rechtsextremismus, der fließende Übergänge in den Terrorismus aufweist. Wir siedeln dessen Gefahrenpotential auf dem gleichen Niveau an wie den Islamismus.

In einer Analyse hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz vor zwei Jahren prognostiziert, dass sich künftig rechtsterroristische Ansätze außerhalb der etablierten Szene bilden können.

Wir erkannten in allein handelnden Personen sowie Kleingruppen potenzielle Täter, die sich über abgeschirmte Kommunikation im Internet radikalisieren und vernetzen.

Die Namen „Oldschool Society“, „Gruppe Freital“, und „Revolution Chemnitz“ sind Beispiele derartiger Kleingruppen, die wir im Verbund mit den Sicherheitsbehörden stoppen konnten.

Nationale und internationale Beispiele für allein handelnde, rechtsterroristische Täter sind

  • Oslo,
  • München,
  • Christchurch,
  • El Paso
  • oder jüngst Halle,

wo Attentäter mit grausamen Gewaltakten ein globales Publikum schockierten, um ein Fanal zu setzen. In den Fällen von Christchurch und Halle wurde sogar das Tatgeschehen als Livestream auf Plattformen platziert!

Es wird also nicht nur Hass und Hetze auf Plattformen und sozialen Netzwerken konsumiert und kommuniziert, sondern auch das Tatgeschehen in den virtuellen Raum zurückgesteuert, um die Netzgemeinde mit einem anschlussfähigen Ereignis zu inspirieren. Die Toten und das Leid der Angehörigen sind zweifellos real.

Manche Täter mögen zwar allein gehandelt haben – gemäß Ihrem Selbstverständnis als „einsamer Wolf“. Aber auch dieser „einsame Wolf“ hat ein Rudel – und zwar in den Untiefen des virtuellen Raums und dem Zwielicht des Darknets!

Dort erfährt er

  • Anleitung,
  • Unterstützung
  • und Bestätigung.

Wenn nun aber – meine Damen und Herren – die Feinde unserer offenen Gesellschaft durch Dynamik und Entgrenzung bestechen, dann handeln auch wir – dann handeln auch die wehrhafte Demokratie und ihre Sicherheitsbehörden dynamisch!

Wir schärfen permanent unsere Werkzeuge und treiben die Zusammenarbeit aller relevanten Akteure voran – und dies nicht nur im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum GTAZ!

Wir schmieden auf nationaler wie internationaler Ebene Sicherheitspartnerschaften und definieren gemeinsame Kooperationsfelder.

Wir leiten mit unseren Maßnahmen Prozesse ein, um unsere Früherkennungs- und Analysefähigkeiten weiter zu erhöhen – gerade mit Blick auf den gewaltorientierten Rechtsextremismus:

  • So haben wir in diesem Arbeitsbereich einen Personalaufwuchs innerhalb eines Jahres um 50 Prozent realisiert.

Wir brauchen dieses Personal, denn

  • wir erhöhen unsere nachrichtendienstliche Vorfeldauferklärung, um die Informationsgewinnung zu erhöhen.
  • Wir stärken unsere Analysekompetenz – gerade im digitalen Einsatzraum! Dort müssen wir handlungsfähig sein!
  • Wir bauen die operative Internetbeschaffung aus, um relevante Plattformen aufklären! Das Ziel ist ein digitales Lagebild, um die Laufwege von Hass und Hetze besser nachzuzeichnen und Radikalisierungsverläufe zu erkennen.

Denn eines ist für uns völlig klar:

  • Die Identifizierung gewaltorientierter Täter, der Nachvollzug ihrer Kennverhältnisse und die Aufklärung von Netzwerken haben oberste Priorität!
  • Für dieses Ziel entwickeln wir unser Risikomanagement weiter, in dem wir auch im Rechtsextremismus sogenannte Personagramme nutzen. Dabei folgen wir positiven Erfahrungen aus der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus.

Ich habe eben auf die beachtliche Rolle der „Neuen Rechten“ als Scharnier zwischen bürgerlichen und extremistischen Positionen hingewiesen: Auch hier forcieren wir unsere Maßnahmen:

  • Wir intensivieren die Analyse der „Neuen Rechten“, indem wir wissenschaftliche und operative Erkenntnisse verzahnen.
  • Wir behandeln den Flügel und die Junge Alternative (JA) der AFD als Verdachtsfälle und werden sie als solche im BfV weiterhin bearbeiten.

Darüber hinaus

  • intensivieren wir die bereits enge Zusammenarbeit mit dem BND, dem BKA und internationalen Partnern.
  • Wir richten in Abstimmung mit dem BAMAD und den Landesämtern für Verfassungsschutz eine Zentralstelle ein, um rechtsextremistische Umtriebe im öffentlichen Dienst zu untersuchen.
  • Wir unterstützen Ordnungsbehörden bei Verbotsmaßnahmen und verstärken die Prüfung von Vereinsverboten – denn wir wollen Aktions- und Handlungsräume rechtsextremistischer Gruppen bestmöglich einschränken.
  • Und wir haben vor einem Monat – am 28. Oktober – ein Hinweistelefon „Rechtsextremismus/-terrorismus, Reichsbürger und Selbstverwalter“ eingerichtet. Vorbild ist das Hinweistelefon zum islamistischen Terrorismus, durch das wir wertige Hinweise generieren konnten.

Meine Damen und Herren,

nach dem Anschlag in Halle sprach Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier in einer Rede zum Thema „Demokratie unter Druck“ davon, dass der politische Diskurs im Internet zu einem festen Bestandteil unserer Demokratie geworden ist. Zu Recht bilanzierte er – Zitat:

„Demokratischer Diskurs gelingt in Zukunft nur, wenn er auch im Netz gelingt.“
Zitat Ende.

Ich möchte daran eine weitere – gesicherte – Erkenntnis anschließen:

„Verfassungsschutz gelingt in Zukunft nur, wenn er auch im Netz gelingt!“

Wir wissen, dass unsere Demokratie auch im Cyberraum wehrhaft sein muss – und ich hoffe, ich konnte Ihnen darlegen, dass wir große Energie und Ressourcen auf diese Ziele forcieren. Und dies gilt übrigens nicht nur für die Extremismus- und Terrorismusabwehr, sondern in hohem Maße auch für unsere Spionage- und Sabotageabwehr.

Wir müssen schlichtweg dorthin, wo sich aktuell die „Kundschaft“ aufhält. Dies gilt sowohl für die analoge wie die digitale Welt. Dann können wir Anschläge verhindern, auf erkannte extremistische Gruppierungen und Netzwerke Druck ausüben, Verbotsmaßnahmen einleiten und Erfolge verzeichnen.

Deshalb freuen wir uns über die große Unterstützung von großen Teilen der Politik, die uns in den letzten Jahren mit einem bedeutsamen Stellen- und Mittelaufwuchs bedacht haben.

Dies ist nicht selbstverständlich.

Aber – Sie können sich denken – selbstverständlich sehen wir auch noch weiteren Handlungsbedarf, um auch den Bundesverfassungsschutz mit lageangepassten Mitteln für das Digitalzeitalter auszustatten.

Doch auch in diesem Bereich freuen wir uns über zunehmende Einsicht, dass wir auch rechtliche Anpassungen benötigen.

Wir stellen ja keine Ansprüche aus reinem Selbstzweck – auch wenn es manche Kritiker nicht glauben mögen!

Wir wollen schlichtweg unseren gesetzlichen Aufträgen nachgehen – und es braucht gerade in einer komplizierten und komplexen Zeit Analyse- und Früherkennungskompetenz, um gesicherte Erkenntnisse sammeln und gesicherte Aussagen zu den Feinden der Demokratie treffen zu können.

Denn es ist – leider – eine gesicherte Erkenntnis, dass ihnen im 70. Jahr unserer Bundesrepublik potente technische Mittel zur Verfügung stehen.

Ähnlich wie im Bereich des Islamismus müssen wir davon ausgehen, dass wir auch im rechten- bis rechtsextremistischen Lager dauerhafte Trends erleben, die sich nicht wie in der Vergangenheit – zum Beispiel in Gestalt der NPD oder den Republikanern – relativ isoliert behandeln lassen.

Aber wenn Demokraten und ihre Sicherheitsbehörden in bewegten Zeiten nicht aufhören, sich selber zu bewegen, dann können wir selbstbewusst bleiben.

Wir haben eine wehrhafte Demokratie, damit sie stärker ist als unsere Sorgen und stärker ist als die Gefahren, denen sie sich stellen muss.

Nicht jede staatliche Ordnung, die sich verteidigt, ist auch erhaltenswert. Aber weil unsere freiheitlich demokratische Ordnung wertvoll ist, werden wir sie verteidigen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.