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Eingangsstatement von BfV-Präsident Thomas Haldenwang anlässlich der sechsten öffentlichen Anhörung durch das Parlamentarische Kontrollgremium im Deutschen Bundestag

Datum 17.10.2022

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
sehr geehrte Damen und Herren,

wir haben vor langer Zeit erkannt, dass Russlands autoritäres Regime mit strategischer Ausdauer und enormen Ressourcen die Fundamente der Demokratie unterminiert, um seinen Einfluss im Wettstreit der Werte-Ordnungen auszuweiten.

Aus einer schwelenden Systemrivalität ist ein brandgefährlicher Kampf geworden, den das ukrainische Volk tapfer an vorderster Front ausfechten muss. 

Es ist tatsächlich ein Wendepunkt eingetreten. Diese beispiellose Aggression dominiert als game changer auf unbestimmte Zeit alle sicherheitsrelevanten Politikfelder.   

Jenseits der militärischen Eskalation sind uns im nachrichtendienstlichen Spektrum die wesentlichen Parameter der Bedrohungslage allerdings vertraut.

Russland ist längst als aggressiver Akteur mit unlauteren Motiven, Mitteln und komplexen modi operandi bekannt gewesen – und wird auch dementsprechend von uns bearbeitet.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz benennt regelmäßig gegenüber der Öffentlichkeit die multi-dimensionalen Feindseligkeiten und Angriffsvektoren der Russischen Föderation gegen Deutschland.

Bereits vor zwei Jahren warnte ich – in dieser öffentlichen Anhörung und in diesem Saal – vor einer alarmierenden Brutalisierung im Arbeitsfeld der Spionageabwehr.

Wir haben in umfangreicher Aufklärungsarbeit über das hohe Niveau der Spionage gegen Deutschland keine Zweifel gelassen.

Doch zweifellos bewegen wir uns seit dem Überfall auf die Ukraine in einem neuen Umfeld. Dies resultiert aus der objektiven Verschärfung aller bisherigen Faktoren:

  • In einer äußerst konfrontativen Lage mit offenen Kriegshandlungen wird die Hemmschwelle für nachrichtendienstliche Operationen weiter sinken.
  • Allein durch das massive Sanktionsregime ist es absolut plausibel, dass sich die russischen Aufklärungsbemühungen noch weiter verstärken werden.

Dies müssen wir antizipieren.

Und wir haben antizipativ in Szenarien gedacht – und sofort zielgerichtet gehandelt!

  • So konnte den russischen Diensten ein empfindlicher Schlag zugefügt werden, als die Bundesregierung am 4. April auf der Basis unserer Erkenntnisse 40 russische Nachrichtendienst-Offiziere aus Deutschland ausgewiesen hat.  
  • Im Kontext des Krieges konnten Aktivitäten russischer Cybergruppierungen identifiziert werden – etwa beim Angriff auf den Satellitenbetreiber Viasat.
  • Damit bestätigen die Einschätzungen unseres Bundesamtes sowie vieler Unternehmen, dass im Zuge der westlichen Sanktionen und Waffenlieferungen das Risiko von gezielten Cyberangriffen und spill-over-Effekten real ist.
  • Neben den umfangreichen Maßnahmen zur Sensibilisierung haben wir für Unternehmen und Betreiber Kritischer Infrastrukturen aktuelle Informationen zur Bedrohungslage bereitgestellt – und mit neuen Berichtsformaten ausgebaut.
  • Die Aufklärung von russischen Beschaffungsbemühungen zählt zu den Schwerpunkten unserer Proliferationsabwehr. Mit Blick auf das verschärfte Sanktionsregime tauschen wir uns mit internationalen Partnern aus – und haben die Zusammenarbeit mit deutschen Exportkontrollbehörden noch einmal deutlich verstärkt.

Daneben haben wir die Fortentwicklung der russischen Desinformations-Maschinerie mit ihrer Mixtur aus der Propaganda staatlicher Stellen, Akteuren in sozialen Medien und gefälschten Accounts analysiert – und den beständigen Austausch mit anderen Bundesbehörden und Ressorts dazu intensiviert.

Die Verbreitung pro-russischer Narrative im Informationsraum bewerten wir seit Kriegsausbruch als deutlich offensiver und aggressiver.

Zugleich beobachten wir aufmerksam die mögliche Gefährdung von Institutionen und Personen im politischen Raum – wie etwa durch den Cyberakteur Ghostwriter:

  • Auch in diesem Jahr haben wir Aktivitäten detektiert und durch rasche Sensibilisierungen erwidert.
  • Wirklich erfolgreiche Desinformations- und Einflusskampagnen konnten in Deutschland daraufhin trotz zahlreicher Versuche bislang nicht verzeichnet werden.

Diese Querschnitts-Skizze belegt: Unsere antizipierten Szenarien sind begründet und unsere forcierten Maßnahmen berechtigt!

Für die weitere Zukunft rechnen wir mit:

  • der methodischen Umorientierung der russischen Spionage zu noch mehr Konspiration,
  • einer weiterhin hohen Intensität von Einflussaktivitäten,
  • der erhöhten Wahrscheinlichkeit ausgedehnter Cyberangriffskampagnen, 
  • einer möglichen Zunahme der Ausspähung von Oppositionellen,
  • sowie einer grundsätzlichen Gefährdungsdimension durch Tötungsmissionen unter Beteiligung ausländischer Dienste. 

Unser Bundesamt begegnet dieser Bedrohungslage während einer anhaltend hohen Arbeitsbelastung in den Phänomenbereichen des Extremismus.

Unverändert setzen sich dort gefährliche Trends fort – zum Beispiel

  • anwachsende Personenpotentiale
  • eine steigende Gewaltorientierung
  • die Gefahr durch konspirativ agierende Zellen
  • sowie die Radikalisierung einzelagierender Täter.

Dies sind auch die Konstanten des Rechtsextremismus, dessen hohe Gewaltbereitschaft in Einzelfällen bekanntlich auch eine rechtsterroristische Dimension erreichen kann und erreicht hat. Mit Erfolg und vollem Einsatz stellen wir uns dem weiterhin entgegen!

Und ich sage es hier klar und deutlich: Die Verschärfung der Lage in den verschiedenen Bereichen wird nicht zu einem nachlassenden Kampf gegen den Rechtsextremismus führen.

Dazu gehört auch, dass wir die Protagonisten der sogenannten Neuen Rechten intensiv weiter beobachten werden. Und hier möchte ich noch einmal erwähnen, dass mehrere Gerichtsentscheidungen der vergangenen Monate unsere Einstufung der Partei „Alternative für Deutschland“ als rechtsextremistischen Verdachtsfall sowie der Identitären Bewegung Deutschlands als erwiesenes Beobachtungsobjekt eindeutig bestätigt haben.

Exemplarisch für das konstruktive Zusammenwirken von Verfassungsschutz und Polizei in diesem Zusammenhang sind etwa die konzertierten Durchsuchungsmaßnahmen im April gegen die verbotene Organisation Combat 18“, die Eisenacher Kampfsportgruppierung Knockout 51“ und deutsche Protagonisten der sogenannten Siege-Szene.

Natürlich ist das aktuelle Kriegsgeschehen auch für Extremisten ein fruchtbarer Acker, um berechtigte politische Positionen, überschießende Emotionen aber auch verschwörungstheoretische Spekulationen für die eigene Agenda zu ernten.

Gemäß unserer Prognose wird der rapide Anstieg der Energiepreise und der Inflation von rechtsextremistischen Gruppierungen zur Mobilisierung und Agitation genutzt. Dabei treten besonders die sächsische Regionalpartei „Freie Sachsen“ sowie das „COMPACT-Magazin GmbH“ bei Protestaktionen, insbesondere im Osten Deutschlands, in Erscheinung.

Auch Protagonisten aus dem Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ thematisieren die Inflation, Sanktionen gegen Russland oder Waffenlieferungen. Bislang entfaltet dieses Spektrum jedoch nur vereinzelt Mobilisierungskraft.

Uns überrascht auch nicht, dass in der linksextremistischen Szene das Themenfeld „Antimilitarismus“ stark an Bedeutung gewonnen hat. Rüstungsunternehmen, die Bundeswehr sowie politische Parteien und Entscheidungsträger rücken verstärkt in den Fokus gewaltorientierter Linksextremisten.

Wir werden sehr genau hinschauen, ob Verfassungsschutz-relevante Kräfte legitime Proteste kapern – und durch staatsfeindliche Argumentationsmuster instrumentalisieren.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Sie erkennen in den öffentlichen Anhörungen der vergangenen Jahre einen roten Faden: 

Nahezu alle Arbeitsfelder des Bundesamtes für Verfassungsschutz beanspruchen durch eine sehr dynamische Sicherheitslage unsere Aufmerksamkeit. 

Seit dem 24. Februar sind nicht nur dynamische, sondern höchst dramatische Ereignisse hinzugetreten. 

Die enge Kooperation der Sicherheitsbehörden auf nationaler und internationaler Ebene ist in diesen Zeiten existentiell – und sie wird längst praktiziert!

Wir sind also nicht unvorbereitet!

Wir haben große Kraftanstrengung unternommen, um als reaktionsschneller Nachrichtendienst auch volatilen Lageentwicklungen begegnen zu können. Der Bedarf an Personal, Mittel und Ressourcen der vergangenen Jahre war richtig – und bleibt berechtigt!

Die Demokratie ist wehrhaft, gerade wenn sie herausgefordert wird. Wir stellen uns diesen Herausforderungen zum Schutz unserer Demokratie und der Sicherheit in Deutschland.

Vielen Dank.