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Chinas neue Wege der Spionage.

Die Abbildung zeigt einen im Verborgenen agierenden Hacker mit der Silhouette der chinesischen Flagge im Hintergrund

Es waren eindeutige Zahlen, die John C. Demers, Assistant Attorney General in der National Security Division des US-Justizministeriums, im Dezember 2018 dem Rechtsausschuss des Senats vortrug: In über 90 Prozent aller Fälle von Wirtschaftsspionage, die sein Haus im Zeitraum von 2011 bis 2018 bearbeitet habe, seien chinesische Stellen involviert gewesen. Selbst bei der deutlich weiter gefassten Zahl von Diebstählen geistigen Eigentums, die auch Fälle ohne staatliche Beteiligung umfasst, habe man in immer noch zwei von drei Fällen eine Verbindung nach China aufdecken können (Quelle).

Die Zahlen zeigen eindrucksvoll, wie weit Chinas Bereitschaft geht, seinen „Chinesischen Traum“ (Quelle) , in den nächsten Jahren zur weltweit führenden Industrie- und Technologiemacht zu werden, auch mit illegitimen Methoden voranzutreiben.

Nicht umsonst werden chinesische Ausspähbemühungen in den USA inzwischen von höchsten Stellen offen als Bedrohung für die wirtschaftliche und in der Folge auch für die nationale Sicherheit eingestuft.

All-Tools-and-All-Sectors-Approach

Im August 2019 äußerte sich auch die Bundesregierung öffentlich. Auf eine Presseanfrage teilte das Bundesministerium des Innern mit, dass insbesondere deutsche Hochtechnologieunternehmen und Weltmarktführer im Fokus mutmaßlich chinesischer (Cyber-)Spionage stehen. Das nachrichtendienstliche Aufklärungsinteresse orientiert sich dabei erkennbar an nationalen und globalen Initiativen der chinesischen Regierung wie z. B. „Made in China 2025“ (MIC25) und dient so nicht zuletzt dem illegitimen Wissenstransfer zur Stärkung ausgewählter Wirtschaftsbereiche (Quelle).

Die Aufnahme vom 29. November 2018 zeigt eine Aufschrift mit dem Slogan "Made in China 2025" im Rahmen einer Hersteller-Ausstellung in Shanghai, China.
Lvliang/MAXPPP/picture alliance/dpa

Experten wie die Forscher vom Berliner Mercator Institute for China Studies (MERICS) teilen diese Einschätzung. Auch sie gehen davon aus, dass Peking gerade in Branchen, in denen die Volksrepublik einen Rückstand hat und in denen ausländische Technologieführer die wichtigsten Teile ihrer Wertschöpfungskette außerhalb Chinas halten, gezielt auf Spionagemethoden zurückgreift (Quelle).

Die im Mai 2015 vom chinesischen Staatsrat verabschiedete Strategie „Made in China 2025“ (MIC25) zielt darauf ab, bis zum Jahr 2025 aus China - mit allen Mitteln einer staatlich gelenkten Wirtschaft - die stärkste Wirtschaftsmacht der Welt zu machen. Der Schwerpunkt dabei liegt auf zehn Zukunftsbranchen, in denen China die globale Markt- und Technologieführerschaft anstrebt: Meerestechnik und Schifffahrt, Schienenverkehrstechnik und Eisenbahn, neue Energien und alternative Antriebe, neue Werkstoffe, Landwirtschaft, Medizintechnik, elektrische Ausrüstung, Industrierobotik und Roboterbau, neue Informationstechnologien sowie Luft- und Raumfahrttechnik.

Der Chef des Federal Bureau of Investigation (FBI), Christopher A. Wray, geht sogar noch einen Schritt weiter: Die chinesische Regierung verfolge einen „All-Tools-and-All-Sectors-Approach“, so Wray im Februar 2020 im Rahmen einer China-Konferenz des US-Justizministeriums in Washington, D.C (Quelle). Demnach würden inzwischen nicht mehr nur ausgewählte Hochtechnologiebranchen ins Visier genommen. Im Gegenteil: Mittlerweile sei praktisch kein Wirtschaftszweig mehr vor Chinas Spionen sicher. Zudem bemühe sich das Land immer intensiver um Zugänge zu Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen. Erst im Mai 2020 warnte das FBI gemeinsam mit der Cybersecurity and Infrastructure Security Agency (CISA) beispielhaft vor Versuchen von chinesischer Seite, Forschungsergebnisse im Zusammenhang mit SARS-CoV-2/COVID-19 auszuspähen (Quelle).

Zentrale Steuerung

China macht sich dabei - nach Beobachtungen nicht nur des FBI - ganz gezielt die Offenheit der westlichen Gesellschaften zunutze. Während etwa in den USA oder in Europa die privatwirtschaftlich bzw. zivilgesellschaftliche Sphäre (also Unternehmen, Forschungseinrichtungen, Universitäten usw.) und die staatliche Sphäre (mit Regierung, Behörden, Militär usw.) zumeist deutlich voneinander zu trennen sind, ist in China das genaue Gegenteil der Fall.

Dort sind die Grenzen zwischen den Institutionen des Parteienstaates auf der einen und Gesellschaft bzw. Wirtschaft auf der anderen Seite unscharf gezogen. Die Aktivitäten des Einzelnen haben sich den - zentral durch die KPCh definierten - Zielen des Kollektivs unterzuordnen. Die Wege der Steuerung sind dabei vielfältig. Bei Firmen in staatlichem Besitz sind sie vielleicht noch augenfällig. Anders sieht es bei Unternehmen aus, die sich komplett in privater Hand befinden. Aber auch hier trägt die KPCh mit Instrumenten wie dem Nationalen Geheimdienstgesetz oder dem Zwang, unternehmenseigene Kaderzellen einzurichten, dafür Sorge, dass ihre Interessen Berücksichtigung finden.

Im Juli 2017 verabschiedete der chinesische Volkskongress das neue Nationale Geheimdienstgesetz (NGG). Dadurch haben die Sicherheitsbehörden nun zahlreiche förmlich kodifizierte Sonderrechte, um nahezu ohne Einschränkungen im In- und Ausland nachrichtendienstlich tätig zu sein. Das NGG sieht u. a. auch vor, Einzelpersonen, Firmen, staatliche Strukturen und sonstige Organisationen im In- und Ausland zur Mitarbeit zu verpflichten.

Die Aufnahme vom 11. Februar 2019 zeigt einen Blick auf die Zentrale des Chemie-Konzerns Lanxess in Köln.
Oliver Berg/picture alliance/dpa

Fusion von Wirtschafts- und Konkurrenzspionage

Entsprechend vielfältige Möglichkeiten bieten sich für China inzwischen auch im Bereich der Spionage. Staatliche Wirtschaftsspionage und privatwirtschaftliche Konkurrenzausspähung sind kaum noch voneinander zu trennen. Zwar spielen die chinesischen Nachrichtendienste auch weiter eine zentrale Rolle. Sie werden aber parallel immer häufiger auch durch andere Akteure, seien es Unternehmensvertreter im Ausland oder kriminelle Hacker-Gruppierungen in der Heimat, in ihren Ausforschungs- und Beschaffungsbemühungen unterstützt. Neben deutlich erweiterten Angriffsmöglichkeiten bietet das aus chinesischer Sicht zusätzlich den Vorteil, dass aufgedeckte Spionageversuche einfacher dementierbar sind. Beispielhaft illustrieren lässt sich das Problem an einem Fall beim Kölner Spezialchemiekonzern Lanxess, der im November 2018 auch mediales Aufsehen erregte (Quelle). Mehrere chinesischstämmige Mitarbeiter des Unternehmens hatten von 2010 bis 2016 Firmenwissen zu einer patentierten Chemikalie entwendet, zur Verwertung nach China weitergegeben und ein Unternehmen zum Handel mit dem Produkt gegründet. Trotz diverser Hinweise auf eine Beteiligung staatlicher chinesischer Stellen konnte die Staatsanwaltschaft Köln Anklage lediglich aufgrund des Verrats von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen, nicht aber wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit, erheben.

Wirtschaftsspionage vs. Konkurrenzausspähung: Unter Wirtschaftsspionage versteht man die durch staatliche Stellen (insbesondere Nachrichtendienste) gesteuerte, betriebene oder unterstützte Ausforschung von Unternehmen. Konkurrenzausspähung (auch als Industriespionage bekannt) bezeichnet hingegen die private Ausforschung durch Wettbewerber oder auch unabhängige Einzelpersonen.

Non-Professionals auch in der Wissenschaftsspionage

Auch in der Wissenschaft ist dieser Trend zur „Non-Professionalisierung“ von Spionage feststellbar. So werden etwa chinesische Gastwissenschaftler, die zu Besuch an Universitäten oder Forschungseinrichtungen im Ausland sind, ganz gezielt mit Ausforschungs- und Beschaffungsaufträgen betraut. Parallel sorgen Programme wie der „Tausend-Talente-Plan“ dafür, dass auch Wissenschaftler aus anderen Ländern ihre Expertise in den Dienst Chinas stellen und so dem Land zum Aufstieg im globalen Mächtekonzert verhelfen.

Mit dem „Tausend-Talente-Plan“ (TTP) setzte die chinesische Regierung ab 2008 gezielte Anreize für chinesischstämmige Wissenschaftler im Ausland, ihre Forschungsarbeit nach China zu verlegen (und damit ihre Ergebnisse effektiv in den Dienst des Staates zu stellen). Gefragte Experten erhielten nicht nur umfangreiche Forschungsmittel und Ehrungen, sondern auch Gehälter, die teils das Drei- oder Vierfache des marktüblichen Niveaus erreichten. Nachdem international immer mehr Vorwürfe laut wurden, wonach das Programm lediglich dem illegitimen Know-how-Abfluss diente, stellte China die öffentliche Werbung für das Programm 2018 ein. Ungeachtet dessen läuft es aber bis heute fort, genauso wie zahlreiche ähnliche Programme (Quelle).

Zivil-militärische Fusion

Besonders deutlich wird das chinesische Bestreben, alle Mittel und Wege der Wissensbeschaffung zum Zwecke des Machtzuwachses zu bündeln, im Konzept der „zivil-militärischen Fusion“, das 2015 erstmalig formuliert und 2017 mit Gründung der „Zentralkommission für integrierte militärische und zivile Entwicklung“ auch offiziell zur nationalen Strategie wurde (Quelle). Wie Staats- und Parteichef Xi Jin-ping seither in steter Regelmäßigkeit öffentlich ausgeführt hat, sei der "Chinesische Traum" nur zu erreichen, wenn parallel auch die entsprechende „harte“, also militärische, Komponente zur Absicherung chinesischer Interessen gestärkt werde. Dafür wiederum benötige das Land die modernsten Technologien, egal woher diese stammen.

Die Aufnahme vom 20. Februar 2017 zeigt einen VT4 Kampfpanzer im chinesichen Pavillion im Rahmen der International Defense Exhibition an Conference (IDEX) in Abu Dhabi. Chinesische Firmen präsentierten dort auf 1500qm aktuelle Militärtechnologie.
Photoshot/picture alliance

Der Frage, wie dies im Detail geschieht, widmet sich u. a. das Australian Strategic Policy Institute (ASPI). Mit Studienprojekten wie „Picking Flowers, Making Honey“ (Quelle) oder dem „China Defense Universities Tracker“ (Quelle) geht das ASPI gezielt Aktivitäten nach, die Wissenschaftler mit Verbindungen zur chinesischen Volksbefreiungsarmee bei Forschungsaufenthalten im Ausland entfalten. Wie die Berichte zeigen, wird dabei ein teils enormer Aufwand betrieben, um die Herkunft der Forscher und damit ihr eigentliches Interesse, Know-how für das chinesische Militär heranzuschaffen, zu verschleiern. Gleichzeitig finden sich aber auch überraschend viele Fälle, in denen eine simple Internetrecherche genug Anlass für die Gasteinrichtungen geboten hätte, um Verdacht zu schöpfen und sorgfältiger zu prüfen. Anscheinend aber waren sich diese bzw. sind sie sich zu großen Teilen auch heute noch schlicht nicht der Gefahren bewusst. Oder sie ignorierten und ignorieren das Problem vorsätzlich.

Wachsende Herausforderungen

Nicht nur die mit der Abwehr von Spionage betrauten staatlichen Stellen in den westlichen Ländern müssen mit Chinas neuen Wegen der Spionage zurechtkommen. Auch Unternehmen und Forschungseinrichtungen sind gut beraten, sich darauf einzustellen und entsprechende Gegenstrategien zu entwickeln. Denn wenn es richtig ist, dass Chinas Spione, wie es FBI-Chef Wray formuliert, nicht nur einen allumfassenden Ansatz verfolgen, sondern auch aus der langfristigen Perspektive eine Kunstform gemacht haben, wird die Herausforderung in absehbarer Zeit nur größer.