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Der russische Angriffskrieg und seine Folgen für das nachrichtendienstliche Agieren Russlands gegen Deutschland

Dieses Bild zeigt die russische Flagge in dunkler Randfärbung.

„Operation Speer: Russisches Spion-Ehepaar in Schweden gefasst“, „Österreich: mutmaßlicher russischer Spion enttarnt“, „Sabotage-Pläne in Ukraine: Polen entlarvt russische Spione“ – wer die aktuelle Nachrichtenlage verfolgt, findet reihenweise Berichte, die Geheimdienste und ihre Operationen thematisieren. Die Presse-Beiträge über das nachrichtendienstliche Vorgehen Russlands in Europa sind einerseits Ausdruck eines gestiegenen öffentlichen Interesses, andererseits auch Beleg für die erhöhten Bemühungen der russischen Führung, die insbesondere seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zu beobachten sind. Priorität der russischen Führung ist es, Informationen aus NATO, Europäischer Union und damit auch aus Deutschland zu erlangen.

Wofür interessieren sich russische Nachrichtendienste in Deutschland?

Deutschland bleibt aufgrund seiner Rolle als bedeutender politischer Akteur, seiner geopolitischen Lage, seiner Rolle in EU und NATO im Fokus russischer Nachrichtendienste. Als Entscheidungsträger und Gesprächspartner auf europäischer und internationaler Ebene kommt der politischen Position Deutschlands besondere Bedeutung zu. Sämtliche Politikfelder, die einen möglichen Bezug zu Russland haben - wie etwa die Sicherheits- und Außenpolitik, aber auch innenpolitische Themen - sind Aufklärungsschwerpunkte russischer Nachrichtendienste. Auch die Wirtschafts- und Energiepolitik sowie Technologie sind für russische Dienste interessant. Ihr Blick richtet sich insbesondere auf Personen, die Zugänge zu Informationen aus diesen Bereichen versprechen.

Das Bild zeigt eine Person, die mit Handschuhen eine Platine in den Händen hält.
iStock | D-Keine

Zu den weiteren Tätigkeiten russischer Nachrichtendienste zählen die Beschaffung proliferationsrelevanter Güter und des hierfür benötigten Know-hows, von Technologien für die eigene Rüstungsindustrie sowie die Umgehungen von Sanktionen. Bei der nachrichtendienstlichen Beschaffung von Gütern, die einer militärischen beziehungsweise proliferationsrelevanten Endverwendung zugeführt werden können, stehen Hochtechnologiefelder wie Elektronik, Robotik, neue Werkstoffe oder aber auch technische Geräte und Laborausrüstung im Blickfeld.

Proliferation

Trotz eines teilweise erheblichen eigenen technologischen Fortschritts bleiben Staaten, die nach Massenvernichtungswaffen streben, bei der Entwicklung und Herstellung solcher Waffen und Trägersysteme auf den Weltmarkt angewiesen. Zudem versuchen diese Staaten andere Rüstungsgüter sowie militärisch anwendbare Emerging Technologies zu beschaffen.

Die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, Waffen und entsprechender Trägertechnologien sowie das dafür erforderliche Wissen und zu deren Herstellung erforderliche Anlagen wird Proliferation genannt. Zum Aufbau entsprechender Forschungs-, Entwicklungs- und Produktionsstätten und zur Herstellung der Waffen werden auch solche Maschinen, Messgeräte und Materialien sowie militärisch anwendbare Technologien benötigt, die handelsüblich sind und auch im zivilen Bereich an zahlreichen Stellen eingesetzt werden, sogenannte Dual-Use-Güter. Auch ihre Weiterverbreitung fällt unter den Begriff der Proliferation.

Darüber hinaus haben die russischen Nachrichtendienste eine wichtige Unterstützungsfunktion bei den Bemühungen der russischen Staatsführung, Politik und öffentliche Meinung weltweit, unter anderem in Deutschland, in ihrem Sinne zu beeinflussen. Somit sind Desinformation und Proliferation neben Spionage und Cyberangriffen weitere bedeutende Tätigkeiten russischer Nachrichtendienste zur Unterstützung des russischen Angriffskriegs.

Welche Methoden setzen die russischen Nachrichtendienste ein?

Zentral in der Arbeit russischer Nachrichtendienste sind die Aktivitäten aus Legalresidenturen, wie zum Beispiel der russischen Botschaft oder den Generalkonsulaten in Deutschland. Unter Ausnutzung ihrer diplomatischen Abdeckungen versuchen Mitarbeitende der Legalresidenturen teilweise mit konspirativen Methoden – teilweise aber auch mit harmlos wirkender Kontaktpflege – Hintergrundinformationen zu deutschen Positionen zu gewinnen. Die Mitarbeitenden der russischen Nachrichtendienste knüpfen insbesondere Kontakte zu Personen, die Zugang zu solchen Informationen haben und versuchen mittels geschickter Gesprächsführung, an diese heranzukommen.

Gebäude der russischen Botschaft in Berlin
iStock | Teka77

Residenturen

Eine Residentur ist ein getarnter Stützpunkt eines ausländischen Nachrichtendienstes im Operationsgebiet. Ist der Stützpunkt in einer offiziellen oder halboffiziellen Vertretung, wie einer Botschaft oder Handelsvertretung, spricht man von einer Legalresidentur. Hiervon zu unterscheiden ist eine illegale Residentur, die aus einer Gruppe von konspirativ arbeitenden Nachrichtendienst-Angehörigen oder Illegalen besteht. Von diesen Stützpunkten aus kann konspirativ, also heimlich oder verdeckt, vorgegangen werden.


Neben der Informationsbeschaffung aus den Legalresidenturen führen die russischen Nachrichtendienste Operationen durch, die aus den Zentralen der Dienste gesteuert werden. Hierzu zählt auch der Einsatz sogenannter Illegaler – Personen, die mit einer falschen Identität als hauptamtliche Mitarbeiter eines russischen Nachrichtendienstes in das Operationsgebiet Deutschland eingeschleust werden. Sie erhalten von der Zentrale ihres Dienstes Aufträge und übermitteln die Ergebnisse ihrer nachrichtendienstlichen Tätigkeiten unter Nutzung von konspirativen Methoden.


Auch Cyberaktivitäten russischer Dienste tragen maßgeblich zur Bedrohungslage für Deutschland bei. Russische Cyberangriffsgruppierungen betreiben vor allem Cyberspionage, um dem Aufklärungsinteresse Russlands nachzugehen. Zusätzlich führen russische Nachrichtendienste Cyberangriffe zur Vorbereitung von realweltlicher Sabotage und Cybersabotage durch.

Nicht zuletzt gehören Desinformation und Einflussnahmeoperationen zum Handwerkszeug russischer Nachrichtendienste, wobei diese Aktivitäten häufig durch Cyberoperationen begleitet und gestützt werden. Gerade diese Desinformationsaktivitäten Russlands haben seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sprunghaft zugenommen.

Desinformation – ein Mittel zur Einflussnahme

Desinformation ist die gezielte Verbreitung falscher oder irreführender Informationen mit dem Ziel, die öffentliche Meinung von Einzelpersonen oder Gruppen zu beeinflussen, um ein bestimmtes Anliegen zu unterstützen. Eine Information stellt dann eine Desinformation dar, wenn sie nach objektiven Maßstäben inhaltlich unzutreffend ist, der Urheber dies weiß und sie dennoch mit dem Ziel verwendet, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Gleiches gilt für das Verschweigen wesentlicher Teile einer Information. Desinformationsaktivitäten sollen langfristig Emotionen, Wahrnehmungen und Einstellungen beeinflussen beziehungsweise verändern. Desinformation beziehungsweise Desinformationskampagnen sind eine klassische Aufgabe für fremde Nachrichtendienste. Sie unterstützen so die Politik ihrer Staaten, wenn diese ihre politischen, wirtschaftlichen oder strategischen Machtpositionen, aber auch ihre Reputation international ausbauen oder die eigene Weltsicht durchsetzen wollen.

Die Abbildung zeigt Monitore mit Darstellungen aus der Medienwelt.
iStock | Danil Melekhin

Mehr zum Thema: „Desinformation als Mittel gezielter Einflussnahme fremder Staaten“

Bei der Umgehung von Sanktionen oder der Beschaffung proliferationsrelevanter Güter versuchen russische Akteure, über Firmennetzwerke und Tarnfirmen in Drittstaaten verdeckt entsprechende Güter zu beschaffen. Es liegen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass teilweise russische Nachrichtendienste in derartige Beschaffungsvorgänge eingebunden sind.

Was hat sich mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine verändert?

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine wirkt wie ein Katalysator auf die Tätigkeiten der russischen Nachrichtendienste. Die Arbeitsintensität, der Umfang und die Komplexität der russischen nachrichtendienstlichen Tätigkeiten haben seither wesentlich zugenommen. Für Deutschland sind damit einhergehend die potenziellen Risiken im politischen Raum, in Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft sowie auch im Cyber- und im Informationsraum deutlich gestiegen. Die russischen Dienste sind durch die europaweite Ausweisung mehrerer Hundert russischer Nachrichtendienstangehöriger gezwungen, ihr übliches Vorgehen der Informationsbeschaffung aus Legalresidenturen mit weiteren nachrichtendienstlichen Methoden zu ergänzen. Vor diesem Hintergrund beobachtet das Bundesamt für Verfassungsschutz das Agieren der russischen Nachrichtendienste besonders aufmerksam und passt seine analytisch-methodische Arbeit fortlaufend an.

Das Bild zeigt durch russische Angriffe zerstörte Wohngebäude in der ukrainischen Stadt Irpin.
picture alliance / SZ Photo | Friedrich Bungert Zerstörte Wohnhäuser nach einem Luftangriff auf Irpin (Ukraine) am 2.Mai 2022.

Der Umgang mit Russland in der Öffentlichkeit, im politischen Raum und in Wirtschaft und Wissenschaft hat sich gewandelt. Die Bereitschaft, Vertreter des russischen Staates zu Veranstaltungen einzuladen oder mit ihnen zu kooperieren, ist als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg und Zeichen seiner deutlichen Ablehnung stark gesunken. Dies wirkt sich auch auf die Zugangsmöglichkeiten der russischen Nachrichtendienstangehörigen unter diplomatischer Tarnung aus.

Weil Desinformation für Russland vor dem Hintergrund des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs eine wichtige Rolle spielt, hat die Verbreitung derartiger Inhalte stark zugenommen – sowohl durch Vertreter des Staates und Staatsmedien, aber auch über Influencer in den sozialen Medien.

Die Beschaffung von proliferationsrelevanten Gütern ist für Russland durch die umfassenden EU-Sanktionen weiter erschwert. Neben umfangreichen Finanzsanktionen umfassen diese auch das Verbot für die Lieferung sämtlicher Güter und Technologien, die zur militärischen und technologischen Stärkung Russlands oder zur Entwicklung des Verteidigungs- und Sicherheitssektors beitragen könnten. Als Folge ist eine zunehmende Verschleierung von russischen Beschaffungsbemühungen zur Umgehung von Sanktionen festzustellen. Insbesondere wird dabei verheimlicht, dass die Produkte an Russland geliefert werden. Stattdessen werden beispielsweise vorgeschobene Endverwender und Tarnfirmen in Drittstaaten angegeben.

Daneben haben auch die Aktivitäten von Cybercrime-Gruppierungen und Hacktivisten mit prorussischer Ausrichtung einen negativen Einfluss auf die Sicherheitslage. So sind von den Akteuren beabsichtigte aber auch unbeabsichtigte Folgewirkungen für Einrichtungen, die für das staatliche Gemeinwesen eine wichtige Funktion haben, als besonders kritisch zu bewerten. Hier können insbesondere kritische Infrastrukturen, wie etwa die Energie- oder Wasserversorgung, ins Visier der Akteure geraten. Überlastungsangriffe auf relevante Systeme von Einrichtungen der Kommunikations- oder Verkehrsinfrastruktur können ebenfalls Störungen zur Folge haben. So führten Angriffe auf die Systeme von Bundesbehörden, Flughäfen und Banken zu kurzzeitigen Nichterreichbarkeiten.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz reagiert mit einem lageangepassten Ausbau seiner Analyse- und Abwehrtätigkeit auf das insgesamt aggressivere Agieren russischer Nachrichtendienste gegen Deutschland. Dazu zählt neben der nationalen und internationalen Zusammenarbeit auch eine umfangreiche Präventionsarbeit für besonders gefährdete Stellen und die Öffentlichkeit.

Prävention

Im Rahmen der Prävention trägt das Bundesamt für Verfassungsschutz dazu bei, dass Wirtschaft, Wissenschaft sowie Politik und Verwaltung sich eigenverantwortlich gegen Ausforschung, illegalen Wissens- und Technologietransfer, Sabotage sowie Bedrohungen durch Extremismus und Terrorismus schützen können. Hierunter sind alle Maßnahmen zu verstehen, die die betroffenen Einrichtungen und Organisationen durch entsprechende Sensibilisierung in die Lage versetzen, sich eigenverantwortlich und effektiv vor Spionage, Cyberangriffen, Sabotage und Bedrohungen durch Extremismus oder Terrorismus zu schützen.

Mehr zum Thema: „Prävention durch den Verfassungsschutz“