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Eingangsstatement von BfV-Präsident Thomas Haldenwang anlässlich der fünften öffentlichen Anhörung durch das Parlamentarische Kontrollgremium im Deutschen Bundestag

Datum 27.10.2021

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

gern gebe ich zunächst ein Statement ab, indem ich mich holzschnittartig mit der aktuellen Sicherheitslage befasse. Ich möchte darlegen, wie das BfV auch heute schon auf diese Herausforderungen reagiert, und ich möchte einen kurzen Ausblick geben, wie sich das BfV in den kommenden Jahren aufstellen wird.

Zunächst die Sicherheitslage:

Wie ein Mantra trage ich es vor mir her: Die größte Bedrohung für die Sicherheit und Demokratie in Deutschland geht weiterhin vom Rechtsextremismus aus. Die Zahlen dazu:

33.300 Personen rechnen wir dem Spektrum zu, mehr als ein Drittel davon sind gewaltorientiert: 13.300. Allein im Jahr 2020 hatten wir 22.357 Straftaten, davon 1.023 Gewalttaten, die Tendenz ist weiter steigend.

Wir sehen tagtäglich rechtsextremistische Gewalt in Deutschland, und wir haben in den vergangenen Jahren tödliche Terroranschläge erlebt. Wir sehen rechtsextremistische Parteien, die mit spektakulären Aktionen auf sich aufmerksam machen wollen, jüngst die Grenzbegehung nach Polen, um mit mitgebrachten Waffen Flüchtlinge vom Grenzübertritt abzuhalten.

Wir sehen Kameradschaften, Vereine, wir sehen Bürgerwehren, wir sehen aber auch in jüngerer Zeit Lone Wolves und Kleinstgruppen, die sich selbst radikalisiert haben. Wir sehen Netzwerke, und besorgniserregend ist auch, dass in diesen Netzwerken nicht selten Angehörige von Sicherheitsbehörden oder auch der Streitkräfte anzutreffen sind.

Es ist überflüssig zu erwähnen, dass von diesen Personen eine besondere Gefahr ausgeht, weil sie über sensible Informationen verfügen. Sie haben entsprechende Ausbildungen und sind oft Waffenträger.

Die Neue Rechte ist der Ideologiegeber für die ganze Szene – und der Brandbeschleuniger. Wir zählen dazu unter anderem die Identitäre Bewegung Deutschland, ein erwiesenes Beobachtungsobjekt des BfV, das Institut für Staatspolitik, ein Verdachtsfall, die Bewegung Ein Prozent als Verdachtsfall, der scheinbar aufgelöste Flügel, dessen Aktivitäten wir aber weiterhin wahrnehmen – ein erwiesenes Beobachtungsobjekt –, und die Junge Alternative, ein Verdachtsfall.

Besonders erschreckend ist der allgegenwärtige Antisemitismus, sowohl offen im Rechtsextremismus, als auch bei der Neuen Rechten zum Teil etwas verdeckter.

Die Zahlen hierzu: Allein im Jahr 2020 gab es 2.137 rechtsextremistische Straftaten, davon 48 Gewalttaten antisemitischer Art.

Es ist aus meiner Sicht unerträglich, dass sich jüdische Bürgerinnen und Bürger nicht angstfrei auf deutschen Straßen bewegen können.

Ich mache einen Schnitt.

Die permanente Bedrohung besteht auch weiterhin durch den islamistischen Terrorismus. Die Zahlen:

28.715 Islamisten in Deutschland, 1.990 rechnen wir dem islamistisch-terroristischen Personenpotenzial zu, 378 Straftaten waren zu beklagen im Jahr 2020, und wir sehen mögliche Szenarien von Anschlägen. Wir sehen weiterhin die Gefahr von komplexen Anschlägen durch al-Qaida, wie man das beim 11. September erleben musste. Wir haben die Sorge, dass der IS wieder Hit-Teams nach Westeuropa schicken könnte oder sich selbst mit Strukturen reorganisiert.

Wir sehen Kleinstgruppen, selbstradikalisierte Einzeltäter – selbstangeleitet oder aus der Ferne gesteuert –, die mit einfachsten Tatwaffen, oft nur Messern, bereit sind, Anschläge zu begehen und das in jüngster Zeit ja auch getan haben.

Die Niederlage des IS in Syrien/Irak hat eben nicht zu einer Beendigung der Problematik geführt, sondern dazu beigetragen, dass der IS als Untergrundorganisation tätig ist. Andererseits: Die Erfolge der Taliban in Afghanistan geben der gesamten Szene wieder Rückenwind. Insofern ist die Gefahr durch Anschläge von al-Qaida, die dort wieder Fuß fassen können, weiterhin sehr groß. Und auch die Bedrohung durch dort verdrängte IS-Kämpfer, die nach Europa kommen, ist ebenfalls nicht zu unterschätzen.

Im Inland haben wir ebenso gefährliche Personen, und ich möchte erwähnen, dass Gefahren von Personen ausgehen, die in Haftanstalten inhaftiert sind. Dort sehen wir weitere Radikalisierungsprozesse. Nach der Haftentlassung droht von vielen Personen dort eine Gefahr.

Schnitt.

Wir sehen die häufig unterschätze Bedrohung durch den gewaltorientierten Linksextremismus. Auch hier die Zahlen:

Das Personenpotenzial von 34.300 ist relativ stabil, aber die Zahl der Gewaltorientierten ist im vergangenen Jahr auf 9.600 angestiegen – Tendenz weiter steigend. Straftaten: 6.632, Gewalttaten: 1.237.

Gerade in diesem Phänomenbereich sehen wir eine sehr hohe Gewaltorientierung, eine hohe Gewaltbereitschaft, die sich zum einen ausdrückt in militanter Gewalt bei Großveranstaltungen: Ich denke an den Hambacher Forst, Dannenröder Forst, an den G20-Gipfel in Hamburg oder auch an Räumungen von Szeneobjekten, wie jüngst hier in Berlin.

Hier kommt es immer wieder zu militanter Gewalt aus der Situation heraus. Wir sehen aber auch zunehmend kleine klandestine Gruppen, die planmäßig Anschläge begehen, gegen Sachen, zum Beispiel von Baufirmen, die an missliebigen Bauprojekten beteiligt sind, aber auch Gewalt gegen Personen, wie den politischen Gegner und die Polizei. Dass es hier noch nicht zu Todesfällen gekommen ist, ist eher einem glücklichen Zustand zu verdanken. Insofern kann man attestieren: Diese Szene nimmt den Tod von Menschen billigend in Kauf.

Schnitt.

Wir haben weiter im Blick – dass möchte ich hier gar nicht vertiefen – die Bedrohung durch den auslandsbezogenen Extremismus. Ich nenne hier nur Stichwörter: PKK, Graue Wölfe, Hizb-Allah-Anhänger. All diese Bewegungen sind in Deutschland aktiv, und lageangemessen treten sie auch immer wieder öffentlich in Erscheinung.

Wir müssen auch die allgegenwärtige Bedrohung durch Spionage, Sabotage, Einflussaktivitäten anderer Dienste in Deutschland zur Kenntnis nehmen. Wir sehen hier sowohl altbekannte Dienste, aber auch immer wieder neue Player in diesem „Spiel“, die mit klassischen Methoden der Anbahnung und Einflussoperationen arbeiten, aber die sich auch des modernen Mittels des Cyberangriffs bedienen.

Insgesamt muss man attestieren, dass das Geschehen in Teilen robuster geworden ist. Bestimmte Gruppierungen schrecken auch nicht davor zurück, Menschen hier in Deutschland zu entführen, wie vor einigen Jahren geschehen. Selbst Mordanschläge sind heutzutage vorstellbar: Ich erinnere an den Mord im Tiergarten-Fall.

Soweit der Kurzüberblick über alle Phänomenbereiche.

Der Katalysator in allen Phänomenbereichen ist das Internet. Wir sehen das Internet als das wichtigste Instrument für Propaganda, Falschinformationen und Desinformation.

Die einzelnen Szenen bedienen sich eben umfangreich der Sozialen Medien für ihre oft klandestine Kommunikation, aber eben auch zur Vernetzung und Mobilisierung.

Sie sehen: Die Lage ist komplex in allen Phänomenbereichen. Und die Herausforderungen sind für die Sicherheitsbehörden groß.

Das BfV begegnet diesen Herausforderungen, indem wir uns immer wieder lageorientiert anpassen und die Strukturen im Personaleinsatz verändern. Insofern haben wir in jüngerer Zeit den Bereich Bekämpfung des Rechtsextremismus stark aufgebaut.

Wir steigern unsere Analysefähigkeit durch Einbeziehung wissenschaftlicher Erkenntnisse: Sei es, dass wir wissenschaftliches Personal selbst einstellen oder – wie jüngst getan – mit der externen Wissenschaft zusammenarbeiten. Vor kurzem haben wir eine Wissenschaftskonferenz durchgeführt, und das soll erst der Auftakt gewesen sein.

Wir müssen aber auch mit unserer Technik auf der Höhe der Zeit sein, was die Massendatenanalyse angeht und sonstige Zwecke des Verfassungsschutzes.

Wichtig ist es uns, einen hohen Verfolgungsdruck aufzubauen. Wir wollen nicht nur über die Phänomenbereiche berichten, sondern auch handeln. Und das tun wir, indem wir die Strafverfolgungsbehörden unterstützen oder sonstigen Sicherheitsbehörden bei Waffenentzügen oder der Verhinderung von Veranstaltungen helfen.

So wirken wir bei der Einziehung von Geldern oder bei Vereinsverboten durch das Bundesinnenministerium mit. Und wir unterrichten natürlich – unserem gesetzlichen Auftrag entsprechend – die Bevölkerung, das Parlament und die Regierung über Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.

Hier möchte ich betonen, dass es manchmal Missverständnisse gibt, dass zu dieser Informationspflicht nämlich auch die Information über verfassungsfeindliche Parteien gehört.

Wichtig ist für uns aktuell: Sicherheit können wir nicht allein gewährleisten, sondern nur vernetzte Sicherheit kann Erfolg bringen. Das erreichen wir durch die enge Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Partnern.

Ich denke da natürlich insbesondere an unsere Partner, die auch heute hier vertreten sind: BND und BAMAD. Die Zusammenarbeit hat sich außerordentlich gut entwickelt. Wir arbeiten aber auch mit internationalen Partnern zusammen und auf Sicherheitsplattformen, wie dem GTAZ, dem GETZ, dem Cyber-AZ und im Verfassungsschutzverbund.

Was haben wir in den kommenden Jahren vor – Stichwort „BfV 2025“?

Wir sind in den vergangenen Jahren durch das Parlament sehr gut unterstützt worden, was unsere Ressourcen angeht. Wir haben Personal- und Finanzmittelzuwächse, und wir sind mit zusätzlichen Befugnissen ausgestattet worden.

Wir wollen diese neuen Möglichkeiten nutzen, um uns zukunftsfähig und schlagkräftig aufzustellen. Wir werden weiterhin Prozesse und Strukturen anpassen, weiterhin neue Techniken anschaffen und einsetzen, wir wollen aber vor allem auch die noch offenen Stellen abschließend mit sehr qualifizierten und motivierten Mitarbeitenden besetzen – das war durch Corona nicht durchgängig möglich.

Wir legen Wert darauf, dass wir das sehr divers tun. Wir wollen im Verfassungsschutz ein Abbild der Gesellschaft sein. Wir wollen uns die Kompetenzen der vielfältigen Gesellschafts- und Bevölkerungsgruppen zu eigen machen. Insofern haben wir auch vor wenigen Wochen die Charta der Vielfalt unterschrieben. Das BfV wird bunter werden.

Wir sorgen aber auch für eine bedarfsgerechte Unterbringung in Köln und Berlin. Wir haben große Baumaßnahmen an beiden Standorten in den kommenden Jahren vor.

Bei all diesen Herausforderungen freue ich mich auf ihre kritische Begleitung.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.